Antifaschismus ist Humanismus in Aktion

2. Mai 2024

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Der Leitantrag der VVN-BdA für den Bundeskongress 2024

1. Das Selbstverständnis der VVN-BdA:

Die gemeinsame Grundlage unserer Arbeit bildet seit fast 80 Jahren das politische Vermächtnis der Frauen und Männer aus Widerstand und Verfolgung, wie es sich insbesondere im Schwur der Häftlinge von Buchenwald nach ihrer Selbstbefreiung ausdrückte: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel“. Dieses Vermächtnis halten wir mit unserem politischen Handeln lebendig. Ihren Zukunftsentwurf Antifaschismus formulierten Antifaschist*innen aus der ehemaligen DDR im Jahr 1990 unter der Losung: „Antifaschismus ist Humanismus in Aktion“.

So wie der Kampf gegen den Faschismus im 20. Jahrhundert von Menschen mit unterschiedlichen weltanschaulichen und politischen Positionen geführt wurde, ist er bis heute ein Bündnisprojekt, die VVN-BdA selbst eine Bündnisorganisation. In der VVN war der bewusste und respektvolle Umgang mit unterschiedlichen Positionen, z.B. in Bezug auf die Ziele und Mittel antifaschistischen Engagements oder die Grundlagen und Grenzen von Aktionsbündnissen immer ein Thema, um das gerungen wurde. Aus historischer Erfahrung betonen wir, dass die VVN-BdA sich als überparteiliche Organisation keiner politischen Partei verpflichtet sieht. In ihren Reihen ist Platz für unterschiedliche gesellschaftspolitische und weltanschauliche Positionen, die sich dem Vermächtnis des antifaschistischen Widerstands verpflichtet fühlen.

In der VVN-BdA gibt es keine Beschlüsse, die von jedem Einzelnen verpflichtend mitgetragen werden müssen. Doch die Beschlüsse, die von der Vereinigung auf den unterschiedlichen Ebenen mit Mehrheit gefasst werden, bilden die Grundlage der gemeinsamen Arbeit.

Aus der historischen Erfahrung heraus, dass die fortschrittlichen Kräfte in diesem Land versagt hatten, den Faschismus zu verhindern, weil sie nicht zusammenfanden, folgt für uns die Pflicht, stets um die Einheit aller Antifaschist*innen zu ringen.
Derzeit ist die fortschrittliche Bewegung wieder mit vielen Streitfragen konfrontiert, die sie zu zersplittern drohen. Wir nutzen unsere Breite, um die inhaltliche Stärkung der Bewegung durch eine offene und kameradschaftliche Diskussion voranzutreiben.

Die VVN-BdA befindet sich in einem intensiven Prozess des Generations- und Strukturwechsels. Das Ausscheiden der Zeitzeug*innengeneration und der Eintritt von zahlreichen neuen Mitgliedern nach dem Angriff auf die Gemeinnützigkeit der VVN-BdA stellt die Organisation auf allen Ebenen vor große Herausforderungen. Allem voran steht dabei die Herausforderung, das politische Erbe unserer Vereinigung für die jüngeren Generationen wachzuhalten und erfahrbar zu machen. Wir erleben zunehmend, wie der Antifaschismus zwar einerseits offiziell immer beschworen wird, seine wesentlichen Inhalte aber andererseits auch immer wieder entsorgt werden. Für die VVN-BdA ist und bleibt der Kampf gegen Faschismus untrennbar mit dem Kampf gegen Demokratieabbau, Kriegspolitik und soziale Ungleichheit verbunden!

Gleichzeitig geht es um eine bewusste Verjüngung der Leitungsgremien der VVN-BdA auf allen Ebenen, das heißt, um die Weitergabe der Verantwortung für die Arbeit der Vereinigung. Gleichermaßen ist es eine Herausforderung, die Zahl von annähernd 3.000 neuen Mitgliedern seit 2019 mit ihren jeweiligen Fähigkeiten in die praktische Arbeit zu integrieren. Über die Hälfte unserer Mitglieder ist erst in den letzten fünf Jahren in die VVN-BdA eingetreten. Dieser Generationswechsel wird – wie die vorherigen Generationswechsel – zu einem Kulturwandel in der Organisation führen. Es ist überlebenswichtig für das Bestehen und die politische Wirksamkeit der VVN-BdA diesen Prozess zu meistern.

Anders als viele Kräfte im Feld des Antifaschismus sind wir tatsächlich unabhängig – von staatlichen Fördergeldern ebenso wie von der Privatwirtschaft, Parteien, Stiftungen, Religionsgemeinschaften oder Gewerkschaften. Trotz dieser Unabhängigkeit haben wir verbindliche organisatorische Strukturen sowie eigene Medien aufbauen und aufrechterhalten können. Wir sind mit unserer Bundesvereinigung auf Bundesebene, mit unseren Landesvereinigungen in allen Bundesländern und mit unseren Kreis- und Bezirksvereinigungen vielerorts auch lokal und regional präsent. Unsere Gremien sind ehrenamtlich.

Diese Wesensmerkmale machen die VVN-BdA einzigartig und unersetzbar. Gleichzeitig fällt ihr damit angesichts der zunehmenden gesellschaftlichen Rechtsentwicklung eine riesige Verantwortung in Sachen antifaschistischer Arbeit zu. Wir müssen handlungsfähig gegen
Neofaschismus und Militarisierung bleiben. Wir haben ansprechbar zu bleiben für die vielen Menschen, die jetzt schon – und in Zukunft verstärkt – nach Orientierung und strukturellem Halt für ihr antifaschistisches und erinnerungspolitisches Engagement suchen und suchen werden.

Auf internationaler Ebene setzen wir unsere antifaschistische Arbeit als internationalistische Organisation gemeinsam mit den Partnerverbänden in ganz Europa und Israel im Rahmen der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) um.

2. Aufgaben und Ziele der VVN-BdA für die nächsten drei Jahre

    • Der Kampf gegen Rechtsentwicklung, (Neo-) Faschismus, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus und jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit

    Der politischen Rechtsentwicklung und insbesondere dem Aufstieg der AfD, die sich seit ihrer Gründung zunehmend zu einer klar von faschistischen Kräften dominierten Partei entwickelt hat, muss entschieden entgegengetreten werden. Die AfD bedroht nicht nur die in Deutschland erreichten zivilisatorischen und sozialen Fortschritte und die Demokratie selbst, sondern ist in letzter Konsequenz eine Gefahr für Leib und Leben von allen, denen heute schon mit „wohltemperierten Grausamkeiten“ und symbolischen Galgen gedroht wird. Die AfD hat die Grenzen des Sag- und Machbaren nach rechts verschoben und kann schon heute Themen und gesellschaftliche Diskurse bestimmen. So haben – mit Ausnahme der LINKEN – alle Parteien in den Parlamenten sich inzwischen Forderungen der AfD zu eigen gemacht. Insbesondere in der Migrationspolitik und der weiteren Aushöhlung des Asylrechts. Es wurden bereits wesentliche Elemente der AfD von Ampel und CDU/CSU übernommen und umgesetzt. Auch die Hetze gegen Bezieher*innen von Bürgergeld von der AfD wurde nicht zurückgewiesen, sondern führt zu neuen Sanktionsmaßnahmen und weitergehenden Forderungen der CDU/CSU.

    Wir fordern das Verbot der AfD und werden uns gemeinsam mit anderen demokratischen Kräften aktiv an einer Verbotskampagne beteiligen. Wir fordern die Verfassungsorgane auf, den Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht zu stellen. Gleichzeitig führen wir das erfolgreiche Projekt „Aufstehen gegen Rassismus“ weiter, womit wir der Normalisierung der AfD auf gesellschaftlicher Ebene entgegentreten und Menschen den Rücken zum Widerspruch stärken.

    Die VVN-BdA steht solidarisch an der Seite geflüchteter Menschen und fordert ein Ende der mörderischen europäischen Abschottungspolitik. Migration ist ein Menschenrecht! Flucht ist kein Verbrechen! Dafür arbeiten wir mit den migrantischen Communities und solidarischen Strukturen und Bündnissen zusammen gegen rassistische Diskurse und Gesetze. Wir fordern ein Ende der Abschottung Europas gegen Menschen auf der Flucht.

    • Der Kampf für Frieden und gegen Krieg und Militarisierung

    Für die Überlebenden des NS-Regimes waren die Losungen „Nie wieder Krieg!“ und
    „Nie wieder Faschismus!“ untrennbar miteinander verbunden. Deshalb ist die VVN-BdA bis heute Teil der deutschen und internationalen Friedensbewegung. War es in den 1970er und 1980er Jahren das Eintreten für Entspannungspolitik und Abrüstung, so betrachten wir es heute – nach dem russischen Angriff auf die Ukraine – als unsere Aufgabe, der Militarisierung unseres Landes mit der massiven Erhöhung der Militärausgaben und der ideologischen Einstimmung der Bevölkerung auf eine neue „Kriegstüchtigkeit“ entgegenzutreten.

    Für Antifaschist*innen gilt heute wie damals, was die Weiße Rose denkbar knapp in ihrem Flugblatt „Aufruf an alle Deutschen“ schrieb: „Jedes Volk, jeder Einzelne hat ein Recht auf die Güter dieser Welt!“

    Wir treten für die Stärkung der internationalen Institutionen ein, die nach der Niederringung des Naziregimes durch den Sieg der Anti-Hitler-Koalition entstanden sind, allen voran die UNO, in deren Vollversammlung jedes Land eine Stimme hat. Sie muss eine wichtige Rolle bei der Lösung aktueller und kommender Krisen und Konflikte spielen. Wir begrüßen den dort vereinbarten Vertrag zum Verbot von Atomwaffen und fordern die Bundesregierung auf, diesem beizutreten.

    Wir begrüßen auch alle weiteren UN-Beschlüsse zur Rüstungsbegrenzung und Abrüstung, wie die Resolutionen zur Begrenzung der Rüstung im Weltraum, und fordern von der Bundesregierung, diese zu unterstützen. Mit unseren Freund*innen in der FIR setzen wir uns ein für ein Europa, das für eine Friedenspolitik eintritt, die nicht auf hegemonialer Dominanz in der Außenpolitik, sondern auf nichtmilitärischer Konfliktlösung beruht. Das schließt die Militarisierung der EU aus.

    Anstelle von neuem Wettrüsten und militarisierter Blockkonfrontation fordern wir Verhandlungsinitiativen in Richtung auf ein europäisches und globales System der kollektiven Sicherheit im Geiste der 1990 verabschiedeten Charta von Paris.

    Diese Ziele wollen wir in Zusammenarbeit mit anderen Friedenskräften, mit denen wir zum Teil schon viele Jahre vertrauensvoll zusammenarbeiten, umsetzen. Dabei betonen wir klar, dass für uns eine Zusammenarbeit mit offen rechten und verschwörungsideologischen Gruppen nicht infrage kommt.

    • Bewahrung der Erinnerung und des Vermächtnisses der Frauen und Männer aus Widerstand und Verfolgung

    Der besondere Charakter der VVN-BdA im Vergleich zu anderen antifaschistischen und antirassistischen Initiativen und Strukturen ergibt sich aus ihrer Gründungsgeschichte, die auf den Kampf der Frauen und Männer aus Widerstand und Verfolgung zurückgeht. Die Geschichts- und Erinnerungsarbeit bleibt damit auch weiter ein zentraler Arbeitsbereich der VVN-BdA. In unserer Erinnerungspolitik sollte der Widerstand im Fokus stehen. Die Shoa und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit wären ohne vorherige Zerschlagung und Beseitigung des organisierten politischen Widerstandes gegen den Faschismus nicht möglich gewesen. Widerstand gegen Faschismus wurde schon vor 1933 geleistet, in den Jahren von 1933 bis 1945 unter schwierigsten Bedingungen fortgesetzt und verband sich mit der Vision einer antifaschistisch-demokratischen Neuordnung nach der Zerschlagung der NS-Herrschaft. Unser Wissen um Widerstand umfasst seine ganze gesellschaftliche Breite und bewahrt auch die besondere Rolle des Arbeiter*innenwiderstandes.

    Unsere Geschichtsarbeit richtet sich gegen Geschichtsrevisionismus und NS-Verherrlichung, gegen die Umschreibung der Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs und der Befreiung der Lager.

    Wir setzen uns ein für eine Würdigung des frühen Aufbaus von Gedenkstätten und ihrer Pflege als nationale und internationale Stätten der Erinnerung und Mahnung ein, unter Mitwirkung von Überlebenden der KZ und Zuchthäuser, auf dem Gebiet der ehemaligen DDR.

    Wir erheben weiterhin die Forderung, dass der 8. Mai gesetzlicher Feiertag werden muss. Gemeinsam mit den Lager(arbeits)gemeinschaften und Gedenkstätten setzen wir uns für die Anerkennung aller Opfergruppen ein und unterstützen die Weitergabe des historischen Vermächtnisses an nachgeborene Generationen.

    • Schöner Leben mit Solidarität, sozialer Gerechtigkeit und demokratischer Teilhabe

    Unsere Vorstellung einer demokratischen Gesellschaft beruht auf gesellschaftlicher Partizipation und Inklusion. Wir wollen die Verantwortung für die Gesellschaft und das Zusammenleben nicht an die Regierenden abgeben, sondern treten für eine aktive Zivilgesellschaft ein. Im Vermächtnis unserer Kamerad*innen – besonders aus dem Arbeiter*innenwiderstand – treten wir für eine sozial gerechte Welt ein. Wichtige Bündnispartner*innen im Kampf gegen Armut undSchikane sind die Gewerkschaften, die sich für die sozialen und politischen Rechte insbesondere der abhängig Beschäftigten einsetzen und die Sozialverbände, die die Einbeziehung marginalisierter Gruppen in die Gesellschaft fördern, aber auch Netzwerke und Initiativen, die sich gegen Diskriminierung, Ausgrenzung oder andere Formen von gesellschaftlicher Spaltung engagieren. Dafür bedarf es umfassender demokratischer und sozialer Rechte und Freiheiten. Als VVN-BdA haben wir langjährige Erfahrungen im Kampf gegen politische Überwachung und Berufsverbote, gegen die Einschränkung der Versammlungsfreiheit und andere demokratische Grundrechte. Demokratische Freiheitsrechte wahrzunehmen heißt, sie sich anzueignen. Der Ruf nach einem „starken Staat“ hat diese Rechte eingeschränkt, ins Gegenteil verkehrt und schadet einer demokratisch-freiheitlichen Kultur.

    Wir fordern die Auflösung der Verfassungsschutzbehörden. Wir üben Solidarität mit allen demokratischen Menschen und Organisationen, die vom Inlandsgeheimdienst beobachtet und diffamiert werden. Wir fordern die Rehabilitierung und Entschädigung der von Berufsverboten Betroffenen.

    Unsere Organisation ist Teil der demokratischen Zivilgesellschaft.

    • Die Stärkung der VVN-BdA

    Diese vielfältigen Aufgaben können wir nur erfolgreich umsetzen, wenn es uns gelingt, möglichst viele Mitglieder in die praktische Arbeit der Organisation zu integrieren und ihre Fähigkeiten und Erfahrungen zu nutzen.

    Gleichzeitig geht es weiterhin darum, neue Mitglieder für die VVN-BdA zu gewinnen. Die gesellschaftliche Mobilisierung gegen die AfD und die Rechtsentwicklung bietet dafür gute Voraussetzungen.