Wider die geschichtsvergessene Umdeutung des Roten Winkels

10. Juli 2024

Offener Brief an den Senat von Berlin und die Zuständigen in den Ländern und im Bund

Berlin, 9.Juli 2024

Den aktuellen Presseveröffentlichungen entnehmen wir, dass der Senat von Berlin beabsichtigt, das „Hamas-Dreieck“, also die Verwendung eines roten, mit der Spitze nach unten zeigenden Dreiecks in der Öffentlichkeit im Kontext propalästinensischer und antisemitischer, bzw. israelfeindlicher Aktionen zu verbieten. Das Plenum des Abgeordnetenhauses hat dem entsprechenden Ersuchen von CDU und SPD, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen am Donnerstag zu gestimmt. Wir empfinden dieses überstürzte unbegleitete Vorgehen als Aktionismus und reine Symbolpolitik im Kampf gegen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit. Und: wir ärgern uns sehr, dass die Aneignung und Umdeutung des traditionellen Symbols der Organisationen von Überlebenden des Nazi-Terrors von Presse, Öffentlichkeit und Politik so schnell übernommen wird – kein Ruhmesblatt für die deutsche Erinnerungspolitik.

Die Unterzeichnenden engagieren sich zivilgesellschaftlich, wissenschaftlich und pädagogisch in der Erinnerungsarbeit an Nationalsozialismus, Verfolgung und Widerstand in den Jahren 1933 bis 1945 und fragen: Hat es vorher Konsultationen mit jenen gegeben, die als Opferorganisationen den Roten Winkel in ihren Logos und Fahnen tragen, wie z.B. die VVN-BdA, die Amicale d’Oranienburg-Sachsenhausen et ses kommandos oder den Bund Sozialdemokratischer FreiheitskämpferInnen, Opfer des Faschismus und aktiver AntifaschistInnen, um nur drei europäische Verbände von vielen zu nennen? Gab es eine wissenschaftliche Begleitung? Ansprechpartner*innen in Universitäten und Gedenkstätten gibt es ja in Berlin und Umgebung genug. Wie nehmen Sie Einfluss auf die Berichterstattung, um klarzustellen, dass es sich bei Ihrem Verbot nicht um den Roten Winkel der Verfolgten und Opfer des Naziregimes handelt, oder um zu verhindern, dass sich der Begriff-„Hamas Dreieck“ in der Öffentlichkeit etabliert? Haben die Initiatoren*innen vor, Versäumtes nachzuholen bevor sie es zu einer bundesweiten Initiative machen? Werden Polizeibeamt*innen darin geschult diese Symbole nicht zu verwechseln?

Natürlich haben auch – und gerade – wir mit Entsetzen feststellen müssen, dass in Deutschland und Europa ein Symbol, das für die Erinnerung an das KZ-System der Nationalsozialisten steht und gleichzeitig an Verfolgung und Widerstand erinnert, von Menschen missbraucht worden ist, um im Rahmen einer angeblich pro-palästinensischen Agenda politische Gegner*innen als Angriffsziele zu markieren und das Existenzrecht Israels in Frage zu stellen.

Das rote Dreieck war im KZ-System die Kennzeichnung der politischen Gefangenen aus Deutschland und aus den besetzten Ländern. Nach der Befreiung von der nationalsozialistischen Terrorherrschaft machten es die befreiten KZ-Häftlinge und Verfolgten zu ihrem Symbol und demonstrierten damit ihren Widerstand.

Im Gegensatz dazu wird die Kennzeichnung von Angriffszielen mit roten Dreiecken durch die palästinensische Hamas, die aus Computerspielen übernommen worden sein soll, wieder zum Symbol der Mörder[1]. Ein „Spiel“, das sowohl die 1200 ermordeten Israelis als auch die palästinensische Bevölkerung im kalkulierten Krieg in Gaza teuer zu stehen kommt. Damit verkehren antiisraelische und antisemitische Aktivist*innen ein Symbol der Widerstandsgeschichte Verfolgter und Überlebender des Naziregimes, das auch für heutige Generationen zum Symbol des Antifaschismus geworden ist, in sein Gegenteil!

Der antisemitische Charakter der ganzen Vorgehensweise manifestiert sich in der Reaktion auf alles Jüdische: Synagogen werden mit anti-israelischen Stickern genauso beklebt, wie die Statuen von Popsänger*innen wie Amy Winehouse, die, weil sie, was kaum bekannt ist, Jüdin war, einen Davidstern am Hals trug.

Die überlebenden Verfolgten und Widerstandskämpfer*innen trugen ihre Fahne mit dem roten Winkel, und wir tragen sie heute noch, im Kampf gegen alten und neuen Faschismus, gegen Antisemitismus und Rassismus.

Der mit der Hamas sympathisierende „Befreiungskampf“ wendet es gegen sie, propagiert die gegenteiligen Werte und vereinnahmt ihre Geschichte.

Das ist aus unserer Sicht genauso geschichtsvergessen wie die Pläne der Berliner Regierungskoalition, die Verwendung und öffentliche Darstellung des Roten Dreiecks zu verbieten.

Das rote Dreieck findet sich auf zahlreichen Denkmälern und Erinnerungsorten für die Opfer des NS-Regimes. Von NS-Verfolgten gegründete Organisationen wie die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) verwenden das rote Dreieck, um an die NS-Verfolgung der diversen Opfergruppen zu erinnern.

Sollen tatsächlich Gedenkstätten, Grabsteine und Mahnmale, auf denen sich dieses rote Dreieck befindet, abgerissen oder verhängt werden? Darf die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes ihre Symbole nicht mehr zeigen, wenn sie gegen das Vergessen, gegen Faschismus oder Antisemitismus demonstriert?

Wir fordern Sie auf:

Beteiligen Sie sich nicht aus einem Gefühl der Hilflosigkeit an dieser Bedeutungsverschiebung eines Symbols, das gerade in Deutschland und Europa die Erinnerung an Antifaschistinnen und Antifaschisten, Opfer und widerständig zugleich, wachhalten und ihre Werte verteidigen soll.

Streiten Sie mit uns und dem Roten Winkel für eine würdige Gedenkpolitik, einen antirassistischen Antifaschismus und die Sicherheit jüdischen Lebens.

Der Rote Winkel wird bleiben!

Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes –
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e.V. – (Berliner VVN-BdA e.V.)

Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA e.V.)

Wir würden uns freuen, wenn diese Erklärung von Lagergemeinschaften, Initiativen, Vereinen und Verbänden, Gedenkstättenvertreter*innen etc. unterstützt wird.

Wir werden die Rückmeldungen sammeln und demnächst veröffentlichen.

Kontakt: berlin@vvn-bda.de

Wir würden uns über eine weite Verbreitung dieser Erklärung freuen.


[1] So: https://www.tagesspiegel.de/politik/das-symbol-stellt-eine-bedrohung-dar-berlins-koalition-will-verbot-des-hamas-dreiecks-vorantreiben-11825114.html

hma-meldungen 14-2024

5. Juli 2024

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Am Wochenende nach Essen!

25. Juni 2024

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Gemeinsam laut zu den Protesten gegen den AfD-Bundesparteitag

Der Countdown läuft: In wenigen Tagen werden mehrere zehntausend Menschen in Essen zum lautstarken Protest gegen den AfD-Bundesparteitag zusammenkommen. Auch wir sind dabei!

Gemeinsam mit dem bundesweiten Bündnis Aufstehen gegen Rassismus, dem Essener Bündnis Gemeinsam laut und der Initiative Widersetzen stellen wir uns den Nazis entgegen.

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hma-meldungen 13-2024

20. Juni 2024

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AfD-Verbot jetzt! Auftakt zur Kampagne für ein AfD-Verbot

20. Juni 2024

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Am vergangenen Montag, den 17.06.2024, ist die Kampagne „Menschenwürde verteidigen – AfD-Verbot jetzt!“ mit einer Pressekonferenz im Haus der Demokratie und Menschenrechte in Berlin an den Start gegangen. Die Kampagne wird von einem bundesweiten zivilgesellschaftlichen Bündnis getragen, von dem die VVN-BdA Teil ist.

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#NoExtradition: Keine Auslieferung von Antifaschist:innen nach Ungarn!

14. Juni 2024

Anlässlich des internationalen Nazi-Aufmarschs „Tag der Ehre“ in Budapest wurden im Februar 2023 mehrere Personen aus dem Kreis der extremen Rechten angegriffen und z.T. schwer verletzt. Dafür macht die ungarische Regierung im Wesentlichen einige deutsche, österreichische und italienische Antifaschist:innen verantwortlich.

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hma-meldungen 12-2024

7. Juni 2024

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Heute gemeinsam handeln!

6. Juni 2024

1933 hätte durch solidarischen Widerstand verhindert werden können. Ein Aufruf von Nachkommen des Widerstandes

Von Christa Bröcher, Kinder des Widerstandes

Wir – die diese Botschaft unterschrieben haben – sind Töchter, Söhne, Enkel*innen von Menschen, die vor und in der Nazizeit Widerstand leisteten.

Unsere Eltern und Großeltern traten meist schon vor 1933 dafür ein, Faschismus und Krieg zu verhindern. Sie kamen überwiegend aus dem Arbeiterwiderstand – Gewerkschafter, Sozialdemokraten, Kommunisten – und gehörten zu den ersten, deren Organisationen zerschlagen und deren Mitglieder in Konzentrationslager verschleppt, ins Exil getrieben oder ermordet wurden, unter ihnen auch jüdische Verfolgte.

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hma-meldungen 11-2024

24. Mai 2024

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75 Jahre Grundgesetz: Grund- und Menschenrechte in Gefahr

23. Mai 2024

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Am 8. Mai 1945 endeten Nazi-Terror, Vernichtungskrieg und Völkermord mit der militärischen Zerschlagung des Deutschen Reiches durch die Alliierten.

Am 23. Mai 1949 verabschiedete der Parlamentarische Rat das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland als Gegenentwurf zum NS-Staat, geprägt von der Erfahrung der Nazi-Barbarei und verpflichtet dem Vermächtnis „Nie wieder!“

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