Persönliche Erklärung vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden

geschrieben von Silvia Gingold

12. Januar 2017

Es ist jetzt mehr als 40 Jahre her, da ich schon einmal vor Gericht mein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung einklagen musste. 1975 war ich aus dem Schuldienst entlassen worden auf der Grundlage von „Erkenntnissen“ des Landesamtes für Verfassungsschutz Hessen, die dieses Amt seit meinem 17.Lebensjahr über mich gesammelt hatte. Es waren Aktivitäten wie z.B. die Teilnahme an Demonstrationen gegen den Krieg in Vietnam oder mein Eintreten für gleiche Bildungschancen, die als Beleg für angeblich „verfassungsfeindliche“ Aktivitäten galten.

 

Dass ich heute – inzwischen  Rentnerin – immer noch oder wieder unter Beobachtung des „VS“ stehe und zwar ausschließlich wegen meiner antifaschistischen und friedenspolitischen Aktivitäten empfinde ich als Skandal. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, die  Verfolgungen durch die Nazis ausgesetzt war. Nach Deutschland aus der Emigration zurückgekehrt, war meine Familie ab 1956 erneut Repressalien ausgesetzt: Hausdurchsuchung am Tag des KPD-Verbots, Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit,  Bespitzelungen durch den „Verfassungsschutz“, – erst meine Eltern, dann auch ich –  Berufsverbot.

 

Schon vor 40 Jahren erklärte ich vor Gericht und tue es heute wieder: Meine Einstellung zur Hessischen Landesverfassung und zum Grundgesetz ist im Wesentlichen geprägt worden durch die Erfahrungen meiner Eltern. Sie haben sich im Kampf gegen den Faschismus für jene demokratischen Grundrechte eingesetzt, die im Grundgesetz und in der hessischen Verfassung ihren Niederschlag gefunden haben. Ihr leidenschaftlicher Kampfum diese Grundrechte ist die Schlussfolgerung aus den Erfahrungen mit dem ungeheuerlichen Menschheitsverbrechen des faschistischen Regimes auch an meiner Familie. Ein Teil meiner Familie wurde in den Gaskammern von Auschwitz ermordet. Meine Schwester, damals 2 jährig musste, um vor diesem drohenden Schicksal geschützt zu werden, bis zum Kriegsende versteckt und von meinen Eltern getrennt leben.

 

Mein Vater wurde von den Nazis verhaftet, schwer gefoltert und ist nur durch seine Flucht dem Tod entgangen. Können Sie sich unter diesem Hintergrund vorstellen, wie es sich für mich anfühlt, wenn ich heute wegen Lesungen aus der Biographie meines Vaters, wegen meines Einsatzes gegen Neonazis, gegen Ausländerhass und Rassismus, gegen Militarisierung, Waffenexporten und Kriegseinsätzen der Bundeswehr bespitzelt und als verfassungsfeindlich kriminalisiert werde?   Das Landesamt für Verfassungsschutz wirft mir vor: „Dabei setzt sie den aus ihrer Familiengeschichte resultierenden extremen öffentlichen Bekanntheitsgrad bei ihrer Zusammenarbeit mit extremistischen Gruppen ‚medien- und werbewirksam ein’“ Zu dieser – wie ich finde respektlosen und herabwürdigenden Einstellung gegenüber meinen Eltern –  sage ich: Ja, diese Erfahrungen meiner Eltern setze ich dafür ein, dass sich das, was sie erleben mussten, nie wiederholt. Schließlich waren es in erster Linie die Verfolgten, Zeugen der Naziverbrechen, die Gefolterten in den Konzentrationslagern, die Widerstandskämpfer, die dafür gesorgt haben, dass die Nazivergangenheit nicht in Vergessenheit geraten ist. Sie haben verhindert, dass ein Schlussstrich unter die Vergangenheit gezogen wurde, wie es viele nach 1945 am liebsten gehabt hätten. Mein politisches Engagement gilt diesem  Ansinnen der Zeitzeugen.

 

Besonders skandalös empfinde ich es, wenn der „Verfassungsschutz“ als Rechtfertigung für seine Beobachtung meine Aktivitäten für die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes- Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) heranzieht. Es wird behauptet: „Bezüglich dieser Organisation liegen tatsächliche Anhaltspunkte für linksextremistische Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor.“ Mein Vater gehörte mit anderen Überlebenden der Konzentrationslager und des Widerstands in Hessen zu den Gründungsmitgliedern dieser antifaschistischen Organisation, deren Ziel es war und immer noch ist, die Erinnerungen an die Verbrechen der Nazis und den Widerstand gegen dieses Regime zu bewahren und die Wachsamkeit zu schärfen gegen alle Erscheinungen des Nationalismus, des Rassismus, des Antisemitismus und Militarismus. Zu den Grundaussagen der Organisation gehört der „Schwur von Buchenwald“ – gesprochen von den Überlebenden KZ-Häftlingen im April 1945. Selbst der US-Präsident Barack Obama würdigte bei seinem Besuch in der KZ-Gedenkstätte dieses Vermächtnis. Diesen Schwur von Buchenwald missbraucht das Landesamt für Verfassungsschutz als Beleg für  linksextremistische Bestrebungen der VVN.

 

In der Begründung des VS für die Nichtvorlage oder Schwärzungen von Akten heißt es u.a.: „Zudem handelt es sich um hochsensibles Aufkommen, da die Informationen aus persönlichen Gesprächen gewonnen wurden.“ Und an anderer Stelle: „Die in den Akten dokumentierten, hier nicht vorgelegten Erkenntnisse stammen aus nachrichtendienstlichen Erkenntnisquellen, die durch sachkundige Mitarbeiter des LfV überprüft und bewertet worden sind… Ihr Offenlegen im gegenständlichen Verwaltungsstreitverfahren würde Rückschlüsse auf die Art der Erkenntnisquellen zulassen, die zu Gefahren für Leib und Leben von Personen führen könnten…“ Können Sie sich vorstellen, wie es sich für mich anfühlt, wenn sich die Beobachtung meiner Person nicht nur auf öffentlich zugängliche Quellen stützt, sondern die Bespitzelung auch in persönlichen Gesprächen meines  Umfelds bis hin zum Ausspähen meiner e-mail- Korrespondenzen stattfindet, wie dies ebenfalls in der Sperrerklärung eingeräumt wird? Und wie es sich für mich anfühlt, wenn der Eindruck erweckt wird, es handle sich bei mir um eine gefährliche Person, die gar eine reale Bedrohung für Mitarbeitende des VS darstellt? Angesichts der tatsächlichen terroristischen Bedrohung  durch fremdenfeindliche und rassistische Gewalttaten, NSU-Morde oder Anschläge, wie auf den Weihnachtsmarkt in Berlin empört mich eine solche Unterstellung und macht mich fassungslos.

 

Ich erhoffe mir von diesem Verfahren, dass das Gericht die Rechtswidrigkeit der Beobachtung und Bespitzelung meiner Person durch den „Verfassungsschutz“ feststellt und die Löschung aller über mich gesammelten Daten anordnet. Ich erwarte dass Sie meinem durch die Verfassung geschützten Recht auf Meinungsfreiheit Geltung verschaffen.

Aus Fremden müssen Nachbarn werden – Wir trauern um Zygmunt Bauman

geschrieben von Hans Coppi und Kamil Majchrzak

11. Januar 2017

    Anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus besuchte am 6. Mai 2015 der polnische Soziologe und Widerstandskämpfer zusammen mit der Soziologin Aleksandra Jasińska-Kania die Berliner VVN-BdA. Gemeinsam mit einer Gruppe junger polnischer und deutscher Antifaschistinnen und Antifaschisten tauschten wir uns über die Notwendigkeit der Bewahrung der Erinnerung an die Shoah und die Bewahrung der Werte des antifaschistischen Widerstandes aus. Zygmunt Bauman war einer der weltweit anerkanntesten Soziologen.

Foto: Andreas Domma

Foto: Andreas Domma

1939 bei Kriegsausbruch floh der 14-Jährige aus Poznań in die UdSSR. 1944 trat er der in der Sowjetunion formierten 1. Polnischen Armee unter General Zygmunt Berling bei, die aus Sibirien-Deportierten und Flüchtlingen bestand. Er kämpfte u. a. am Pommernwall, wo er mit der Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet wurde. Trotz Verwundung bei Kolberg meldete er sich zum 1. Mai freiwillig zum Sturm auf Berlin. Nach dem Krieg wurde seine 4. Jan-Kiliński-Division in den Korps der Inneren Sicherheit (KBW) überführt, wo er als Major diente. Während der antisemitischen Säuberungen im Zuge des sogenannten Slánský-Prozesses wurde er aus dem Sicherheitsapparat entlassen und begann ein Soziologie-Studium. Baumans soziologische Auseinandersetzung mit dem Holocaust begann relativ spät. Große Bedeutung hatten die Erlebnisse seiner damaligen Ehefrau Janina Bauman, die das Ghetto überlebte. Während ihr Vater als Reserve-Offizier in Katyń ermordet wurde, scheiterten aufgrund ihrer jüdischen Herkunftihre Bemühungen, während des Warschauer Aufstandes in die Armia Krajowa (Heimatarmee) aufgenommen zu werden.

 

Als Janina 1986 in London ihre Aufzeichnungen „Winter in the Morning“ [„Als Mädchen im Warschauer Ghetto“] veröffentlichte, strich sie aus dem Buch mehrere Passagen, die den Antisemitismus in Polen betrafen, u. a. die Schilderung ihrer Rückkehr nach Warschau nach mehreren Jahren im Versteck. Auf der Überfahrt wurde sie mit den Worten begrüßt: „Unglaublich! Sie sind noch immer da. Diesen deutschen Pfuschern gelang es doch nicht, alle zu vergasen!“ Diese Erinnerungen und das Bewusstsein, dass in Polen nach der Befreiung mehr als 2000 überlebende Jüdinnen und Juden ermordet wurden, finden sich auch in Baumans Studie „Dialektik der Ordnung“ wieder: „Was zum Vorschein kam, geht nicht nur die Urheber, die Opfer und die Zeugen des Verbrechens etwas an, sondern ist von größter Bedeutung für alle, die heute leben und auch in Zukunft leben wollen.“ Bauman unterstrich, dass der Völkermord keine Unterbrechung im Lebenslauf der Rechtsstaatlichkeit darstellte, sondern der planmäßige Mord an den europäischen Juden im Namen des Rechts und Ordnung geschah.

 

Er kritisierte den in der osteuropäischen Geschichtspolitik populären Begriff der „Wahrheit“: „Das ist gefährlich, denn selektive Erinnerungen werden als Wahrheit und einzige Wahrheit ausgegeben.“ Ironisch fügte er hinzu: „Eure Arbeit als soldiers of history ist deshalb wichtig. Ihr versucht, Widerstand und Verfolgung gegen das Nazi-Regime vor dem Vergessen zu bewahren. Denn Geschichte ist heute keine Kultur des Lernens mehr, sondern eine des Vergessens.“ Bauman hob hervor, dass er erst spät entdeckte, „[D]ass die Ursprünge des Faschismus in unserer universellen Art zu denken liegen: dem Projekt der Moderne. Eines der gefährlichsten Elemente der Nazi-Ideologie ist die Idee vom ‚unwerten Leben‘. Dieses wurde nicht nur auf Nationen bezogen, nicht nur Juden oder Homosexuelle. Es wurde auch gegenüber ‚reinen‘ Deutschen angewendet, die auf die eine oder andere Weise als defekt erklärt wurden.“ Und er mahnte: „Vergesst nicht, dass ihr mit einem Feind kämpft, der weitaus stärker ist als Faschisten-Gruppen. Es sind nicht nur die Neonazis! Ihre wesentliche Stütze ist weit breiter als sie selbst. Sie nähren sich von unserer Kultur, und unsere Kultur ist in vielerlei Hinsicht sehr unangenehm falsch. Wenn ihr wirklich dieses immer wiederkehrende Phänomen mit seinen Wurzeln vernichten wollt und die Auferstehung der extremen Rechten mit dessen Konzept des ‚unwerten Lebens‘ verhindern wollt, dann müsst ihr auch etwas gegen die Art, wie wir leben, unternehmen. Ihr dürft es nicht als isoliertes Phänomen betrachten, es hat weitreichendere Verästelungen.”

 

Zu der „Flüchtlingskrise“ befragt, äußerte sich Zygmunt Bauman in einem bemerkenswerten Interview im „Spiegel“ 36/2016: „Angst, Hass, Ressentiment und Ausgrenzung setzen eine sich selbst erfüllende Prophezeiung in Gang. Inklusion und Integration sind die stärksten Waffen des Westens. Es gibt keinen anderen Ausweg aus der Krise, in der die Menschheit sich befindet, als Solidarität. Die Entfremdung, die Barriere zwischen uns und den Fremden, den Etablierten und den Außenseitern, muss überwunden werden. Der erste Schritt dazu ist die Aufnahme eines Dialogs. Aus Fremden müssen Nachbarn werden.“

nonpd – NPD-Verbot muss kommen!

geschrieben von Dr. Ulrich Schneider, Bundessprecher der VVN-BdA

20. Dezember 2016

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    Für den 17. Januar 2017 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) das Urteil für das vom Bundesrat beantragte Verbot der neofaschistischen NPD angekündigt. Als die Bundesländer erneut den Verbotsantrag stellten, nachdem das erste Verfahren wegen formaler Fehler abgewiesen wurde, hatten sie mit vielen guten Gründen auf den verfassungswidrigen Charakter von Programmatik und Praxis der NPD hinweisen können. Auch wenn sich die Bundesregierung und der Bundestag dem Verfahren formell nicht anschlossen, gab es keinen Zweifel, dass diese Partei nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Seit einigen Tagen geistern nun Spekulationen durch die Medien über ein mögliches Urteil, die uns als antifaschistische Organisation alarmieren müssen. „Juristische Experten“ spekulieren angesichts der unterschiedlichen politischen Präsenz der NPD ganz offen über ein regionales Teilverbot der Partei. Sie leiten das aus der inhaltlichen Tendenz der mündlichen Beweisaufnahme ab. Dabei kennt das deutsche Parteiengesetz eine solche Möglichkeit überhaupt nicht. Andere begründen bereits ein negatives Urteil damit, dass europäisches Recht ein Parteienverbot nicht kenne, wobei die NPD doch für sich das deutsche Parteienprivileg in Anspruch nimmt. 05 Die VVN-BdA, die 2007 die Kampagne „nonpd“ initiiert hat, bei der sich über 175.000 Menschen ein NPD-Verbot eingesetzt haben, ist in Sorge, dass mit diesen medialen Spekulationen ein negatives Urteil des BVerfG publizistisch vorbereitet werden soll.   Wir sagen dazu in aller Klarheit:

  • Wer die antifaschistischen und demokratischen Wurzeln des Grundgesetzes ernst nimmt, kann nur ein Verbot der neofaschistischen NPD aussprechen.
  • Wer der NPD bescheinigt, sie sei Teil des „demokratischen Parteienspektrums“, der legitimiert damit deren Ideologie des Rassismus, Antisemitismus und der gesellschaftlichen Ausgrenzung von Minderheiten.
  • Wer die NPD legitimiert, der akzeptiert damit auch die zunehmenden gewalttätigen Ausschreitungen gegen Flüchtlinge und Menschen mit Migrationshintergrund, wie wir sie verstärkt in den vergangenen Monaten erleben mussten.

Wir erwarten daher vom Bundesverfassungsgericht ein klares Signal gegen die NPD, das dem Grundgesetz – insbesondere Artikel 1 „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – Rechnung trägt.

Erdoğan isolieren!

geschrieben von Bundessprecherkreis der VVN-BdA

20. Dezember 2016

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Solidarität mit den fortschrittlichen Kräften in der Türkei

 

Am 7. Juni 2015 verloren der türkische Präsident Erdoğan und seine Partei, die AKP, ihre absolute Mehrheit im Parlament. Die HDP, die Demokratische Partei der Völker hatte mit 13,8 % der Wählerstimmen als erste mehrheitlich kurdische Partei die 10 %-Hürde überschritten und 80 der 550 Sitze im Parlament gewonnen.

 

Ende Juli 2015 erklärte Erdoğan den Friedensprozess für beendet, seit August 2015 führt er erneut Krieg gegen die kurdische Bevölkerung im Südosten der Türkei. Die Angriffe durch Polizei und Militär folgen immer dem gleichen Muster: eine Ausgangssperre wird verhängt, Strom, Gas, Wasser und Internetverbindungen werden unterbrochen, anschließend folgen Raketen- und Bombenangriffe auf die betroffenen Städte oder Stadtteile. Scharfschützen schießen auf jeden, der sich bewegt.

 

Die Anwältinnen Britta Eder und Petra Dervishaj haben in Zusammenarbeit mit dem Verein für Demokratie und internationales Recht MAF-DAD und im Namen zahlreicher weiterer Personen und Organisationen gegen Erdoğan und weitere Verantwortliche für die in diesem Zusammenhang verübten Massaker im Juni 2016 bei der Generalbundesanwaltschaft Strafanzeige wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gestellt.

 

Wir verlangen, dass das Verfahren nach dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch zügig eröffnet wird!

 

Amnesty International schreibt in seinem Jahresbericht für 2015:

 

„Nach den Parlamentswahlen im Juni 2015 und dem erneuten Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) und den türkischen Streitkräften im Juli verschlechterte sich die Menschenrechtssituation zunehmend. Die Medien waren 2015 beispiellosen Repressalien ausgesetzt und die Meinungsfreiheit wurde erheblich eingeschränkt, auch im Internet. Die Behörden verletzten das Recht auf Versammlungsfreiheit. … Die Unabhängigkeit der Justiz wurde weiter untergraben. Bei Selbstmordanschlägen, die der bewaffneten Gruppe Islamischer Staat (IS) zugeschrieben wurden, und die sich gegen linke und pro-kurdische Aktivisten und Demonstrierende richteten, wurden 139 Menschen getötet. …“

 

Das alles war bekannt, als Bundeskanzlerin Merkel im Herbst 2015 mit Erdoğan den Deal  verhandelte, mit dem Erdoğan gegen Milliarden-Zahlungen in seine Kriegskasse Europa die Flüchtlinge vom Hals hält. Gleichzeitig wurde der Türkei die Aufnahme in die Liste der „sicheren Herkunftsländer“ in Aussicht gestellt.

 

Das ist und bleibt ein Skandal.

 

Das Abkommen mit dem Diktator muss gekündigt werden, Flüchtende müssen in Europa aufgenommen werden, Asyl ist ein Menschenrecht!

 

Wir alle haben verfolgt, wie seit dem Putsch, dessen Urheber nach wie vor nicht bekannt sind, Massenverhaftungen, Folter, Massenentlassungen im öffentlichen Sektor in der Türkei zum Alltag geworden sind und wie jede kritische Meinungsäußerung sofort mit massiver Repression verfolgt wird.

 

In der Nacht auf den 4. November 2016 wurden mehrere Abgeordnete der HDP, darunter die Vorsitzenden Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaş festgenommen und werden seitdem in Untersuchungshaft festgehalten. Unter anderem wird ihnen von den türkischen Behörden Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Dagegen hat sogar Außenminister Steinmeier offiziell durch Einbestellung des türkischen Gesandten protestiert. Das genügt nicht.

Am 12. Dezember wurden weitere 235 Vertreter_innen der HDP bei Razzien verhaftet, Büros der Partei, u. a. in Istanbul, wurden verwüstet.

Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ

 

Angesichts der unübersehbaren Entwicklung der Türkei zu einer Diktatur ist jede Unterstützung der türkischen Regierung einzustellen.

 

Die VVN-Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten steht fest an der Seite der fortschrittlichen Kräfte in der Türkei.

 

Deutsche Großmachtträume platzen lassen!

geschrieben von Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA

4. Oktober 2016

 

Die Kämpfe um die künftigen Machtverhältnisse auf der Welt haben längst begonnen.  Die Regierenden Deutschlands möchten dabei „neue Verantwortung übernehmen“. Viele der Kriege, vor denen Millionen Menschen auf der Flucht sind, finden vor dem Hintergrund dieser Auseinandersetzung statt und in vielen dieser Kriege ist die Bundeswehr bereits im Einsatz. Auch eines der vier Bataillone, die nach den Beschlüssen des Warschauer NATO-Gipfels im Juli 2016 ständig an der russischen Grenze stationiert sein werden, wird unter deutschem Kommando stehen.

grossmachtAuf zu neuen militärischen Abenteuern?

Im Juli 2016 hat Verteidigungsministerin von der Leyen das neue „Weißbuch“ vorgestellt, in dem die politischen Grundlagen für die künftige Entwicklung der Bundeswehr festgelegt sind. Was zu befürchten war, wird darin bestätigt: Mit seiner Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2014, in der er verkündete, Deutschland sei „auf dem Weg zu einer Form der Verantwortung, die wir noch nicht eingeübt haben“, hat Bundespräsident Gauck einen grundlegenden Kurswechsel in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik angekündigt.

Mit dem Weißbuch wird der damals auch von Außenminister Steinmeier und von der Leyen formulierte militärische Führungsanspruch zur offiziellen Regierungspolitik.

Aufrüstung wird zum Milliardengrab

So heißt es im „Weißbuch“: „Deutschland ist ein in hohem Maße global vernetztes Land, das aufgrund seiner wirtschaftlichen, politischen und militärischen Bedeutung, aber auch angesichts seiner Verwundbarkeiten in der Verantwortung steht, die globale Ordnung aktiv mitzugestalten.“ Entsprechend muss die Bundeswehr aufgerüstet werden. Ziemlich gleichzeitig mit Gaucks „bahnbrechender“ Rede erteilte von der Leyen den Auftrag zur Überprüfung der Rüstungsprojekte der Bundeswehr. Das Ergebnis führte zur öffentlichen Skandalisierung eines angeblich maroden Ausrüstungsstands, der nun bis 2030 mit 130 Milliarden Euro für neues Kriegswerkzeug behoben werden soll.

Rüstungsproduktion und -export sind wesentliche Fluchtursachen

Hier kommt Wirtschaftsminister Gabriel ins Spiel, der den Erhalt der „rüstungstechnologischen Kernkompetenzen“ zum zentralen außen- und sicherheitspolitischen Interesse der Bundesrepublik Deutschland erklärt. Da die deutsche Rüstungsindustrie aber von deutschen Aufträgen allein nicht leben kann, werden Rüstungsexporte zur Staatsräson.

Weltweit sind mehr als 60 Millionen Menschen auf der Flucht, Fluchtgrund Nummer 1 sind nach wie vor Kriege. Dass im Jahr 2015 so viele Rüstungsgüter exportiert wurden wie in keinem Jahr zuvor, straft alle Reden von der Bekämpfung der Fluchtursachen Lügen.

Bundeswehr ist kein „normaler Arbeitgeber“

Weil die Bundeswehr in immer mehr Kriegen „Verantwortung“ übernimmt, fehlt es an Personal, das mit zynischen Plakat-Kampagnen, in Schulen, Arbeitsämtern und Jobcentern rekrutiert werden soll. Jugendlichen wird das Kriegshandwerk als Mischung aus Abenteuer und Lebensperspektive serviert, schon Kleinkinder durften beim „Tag der Bundeswehr“ auf Panzer klettern und durch Zielfernrohre von Gewehren gucken.

Dieser Entwicklung setzen wir unseren entschiedenen Widerstand entgegen.

Am 8. Oktober tragen wir unseren Protest in Berlin auf die Straße.

Kooperation statt NATO-Konfrontation,

Abrüstung statt Sozialabbau!

Umstellung von Waffen- auf zivile Produktion,

Schluss mit den Waffenexporten!

Kein Werben für‘s Töten und Sterben!

 

Wir treffen uns am 8. Oktober 2016 in Berlin um 12 Uhr am Alexanderplatz/Ecke Otto-Braun-Straße.

 

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„Nationalgarde“ – Nein Danke!

geschrieben von Cornelia Kerth

28. Juli 2016

 

 

In München läuft ein psychisch kranker 18-jähriger Deutscher Amok und erschießt neun Menschen, darunter sieben Muslime. Eines seiner Vorbilder war der norwegische Nazi und Massenmörder Anders Breivik.

Einen Tag später überfällt ein ebenfalls psychisch kranker Mann aus Syrien seine ehemalige Freundin mit einer Machete. Eine unter vielen Beziehungstaten wie es sie leider fast täglich irgendwo gibt.

Davor und danach verüben zwei junge Männer zwei Anschläge, die sie mit dem Terror des IS verbinden, und verletzen Menschen teilweise schwer.

Alle diese Taten sind entsetzlich, versetzen Menschen in Angst und Schrecken. Sie sind aber keine „blutige Anschlags-Welle“, wie Zeitungs-Seiten überschrieben werden.

 

Dennoch wird ab heute diskutiert, ob Deutschland eine „Nationalgarde“ brauche; es heißt, dazu gäbe es dazu konkrete Regierungspläne. Damit wird die Diskussion über den Einsatz der Bundeswehr im Inneren – angeblich von der Verteidigungsministerin vor zwei Wochen ad acta gelegt – neu befeuert.

 

Tatsächlich sind die Vorbereitungen dafür bereits weit gediehen. Das Konzept der flächendeckenden Zivil-Militärischen Zusammenarbeit (ZMZ) Inneres und ein neues Reservistenkonzept der Bundeswehr sichern schon heute die Option auf den Bundeswehreinsatz im Innern ab.

Offensichtlich soll nun diese bisher in der Öffentlichkeit wenig bekannte Variante der Militarisierung popularisiert werden. Und was eignet sich dafür besser als das Versprechen der „Terror-Abwehr“ in Zeiten von Angst und Schrecken auf allen Kanälen?

Wir sagen NEIN zu dieser neuen Dimension von Militarisierung!

Gemeinsame Kommandos über Bundeswehr, Polizei, Verwaltung und zivile Organisationen halten keine Amokläufer und keine Selbstmordattentäter auf.

Es ist die verallgemeinerte Konkurrenz der modernen „Ellbogen-Gesellschaft“, die zur Verrohung der Menschen beiträgt und auch den Hass sät, der die Grundlage für solche Blutbäder  ist. Eine mörderische Ideologie – ob Breivik oder IS – liefert den Tätern einen „höheren Sinn“ für ihre Tat und ihren eigenen Tod.

Wer Sinn in seinem Leben findet, sucht ihn nicht im Tod. Der beste Schutz vor Amoklauf und Terror ist eine Gesellschaft, die allen Menschen ein menschenwürdiges Leben in Frieden ermöglicht. Das kostet vielleicht mehr als eine „Nationalgarde“, nutzt aber auch mehr.

„Markt der Möglichkeiten“

7. Juni 2016

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Auf dem Außerordendlichen Bundeskongress wurde ein „Markt der Möglichkeiten“ durchgeführt. 16 Projekte, überwiegend aus unseren Landes- und Kreisorganisationen, wurden in Form von kleinen Ausstellungen, Präsentationen und Installationen gezeigt. Die Projekte standen unter folgenden Fragen:

  • Was ist das Neue an der Idee?
  • Welche Zielgruppen werden mit ihr erreicht?
  • Wie können sich die Zielgruppen an dem Projekt beteiligen?
  • Welche Erfolge wurden bislang erzielt?
  • Welche organisatorischen und technischen Voraussetzungen sind zu beachten?
  • Welche Kosten entstehen?
  • An wen muss man sich wenden?

Die Projekte waren im Einzelnen:

Bundeskongress der VVN-BdA 2016 in Bochum

Mecki Hartung mit der Gussform der Gedenktafel

Bundeskongress der VVN-BdA 2016 in Bochum

Zum demonstrativen Stadtspaziergang in Hamburg

Bundeskongress der VVN-BdA 2016 in Bochum

Alfred Hauser – Ausstellung

Bundeskongress der VVN-BdA 2016 in Bochum

Der Künstler Boris Weinrich und Cornelia Kerth

8.Mai 1945 – Tag der Befreiung! Stadtrundgang auf den Spuren des Widerstands, Hamburg „Ohh Porajmos …“ Illustrationen zur Diskriminierungs- und Verfolgungsgeschichte der Sinti und Roma Dui Rroma“ (Film) Audiorundgang „Jüdische Geschichte(n) in Prenzlauer Berg Historische Geocaches im Bezirk Lichtenberg Mahn- und Erinnerungstafel an das sog. „Kinderheim“ in Rühen des VW-Werkes Protestaktionen gegen Ehrung der Waffen-SS in Riga Spurensuche/Rallye „Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945 Kinder des Widerstandes – Antifaschismus als Aufgabe Edelweißpiratenfestival – Wilde Jugend gegen Hitler Radio „antenne.antifa“, Münster Gab es in unsrem Ort/Kreis/Gebiet/ Antifaschisten, die vor 80 Jahren in Spanien kämpften? Alfred-Hauser-Preis Film „Ennepe-Ruhr“ (Schüler) „Das Jahr 1933“, „Das Jahr 1945“ FIR-Ausstellung: „Antifaschistischer Widerstand in Europa 1922 – 1945

Komplettes Handout: Handout Projekte Gesamtliste

 

World-Café

7. Juni 2016

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Die Delegierten und Gäste des Außerordentlichen Bundeskongresses

widmeten sich in einem World-Café folgenden Fragen:

  1. Jugendgerechte Formen der Erinnerungsarbeit
  2. Gedenkarbeit in der Migrationsgesellschaft
  3. Eigene Bildungsarbeit
  4. „offizielle“ versus „alternative“ Geschichtspolitik
  5. „Zeugen der Zeugen“
Bundeskongress der VVN-BdA 2016 in Bochum

World-Café, Außérordentlicher Bundeskongress der VVN-BdA 2016 in Bochum

In drei Runden wurden die Fragen in wechselnder Zusammensetzung diskutiert. Die Ergebnisse wurden anschließend visualisiert und mündlich zusammengefasst.   Das komplette Foto-Protokoll findet sich hier: Fotoprotokoll World Cafe Buko 2016 kl

NS-Geschichte im Netz – eine Live-Recherche

geschrieben von Liza Mikosch, Thomas Willms

7. Juni 2016

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Versetzen wir uns in die Situation eines eher jungen, vorzugsweise männlichen und unkritischen Deutschen, der sich rasch über NS-Geschichte informieren möchte. Er wird dies nicht tun, indem er in eine NS-Gedenkstätte eilt oder sich ein Buch aus der Bibliothek besorgt. Auch wird er kaum jemanden fragen, der diese Zeit erlebt hat, geschweige denn, dass derjenige selbst zu den Verfolgten gehört hätte. Vielmehr wird er sich an den Computer setzen und die Suchmaschine Google aufrufen und Suchbegriffe eingeben. „Google“ ist das Produkt eines Konzernes, dessen einziges Interesse nun einmal das Gewinnstreben ist. Die Suchmaschine wertet das Internet rein statistisch aus. Sie interessiert sich nicht für positive oder negative Wertungen und auch nicht dafür, was irgendeine staatliche Einrichtung, ein Museum oder die Wissenschaft zu einem Thema zu sagen hat.

Bundeskongress der VVN-BdA 2016 in Bochum

Thomas Willms, Liza Mikosch

Das „Ranking“, also die Frage, welche der Suchtreffer vorne stehen, entscheidet sich nicht nach deren Qualität, sondern nach dem Interesse, dass sie bereits erfahren haben bzw. nach nicht ganz durchsichtigen kommerziellen Interessen Googles. Was vorne steht, bleibt tendenziell auch vorne. Was Google zeigt, ist eine statistische Wahrheit: Was viele Hits aufweisen kann, ist das, was tatsächlich überwiegend rezipiert wird. Texte, Bilder, Videos und Shopping werden als gleichwertig von der Suchmaschine durchsucht und dargestellt. Die (kulturkonservative) Dominanz der Schrift und des Buches gibt es hier also nicht. Tendenziell werden die visuellen Elemente zahlreicher und stärker wahrgenommen.   Gibt der Nutzer, vielleicht aus einer vagen maskulinen Militärbegeisterung heraus, beispielsweise den Suchbegriff „Waffen-SS“ ein, findet er 872.000 Ergebnisse. Es gibt also eine so große Anzahl an Hits, dass ein systematisches Durcharbeiten von vorne nach hinten unmöglich ist. Je weiter man sich in der Liste vorarbeitet, desto unsicherer und fehlerhafter werden die Treffer. Es bleibt aber, dass hunderttausendfach Texte, Fotos und Videos produziert wurden, die sich in irgendeiner Weise mit „Waffen-SS“ beschäftigen oder sich darauf beziehen.   Der erste Treffer ist „wikipedia“. Die Nutzung von Wikipedia ist so weitverbreitet, die Artikel oft so nützlich, dass vielen gar nicht bewusst ist, wie diese Texte zustande kommen. Sie sind von unbekannten Freiwilligen mit unbekannter Motivation erstellte Produkte. Es gibt also, kein staatliches Komitee, kein Museum, keine didaktische Einrichtung oder dergleichen, die nach reiflicher Forschung und Überlegung referieren, was über „Waffen-SS“ hauptsächlich zu wissen sein sollte. Im Gegenteil ist der Artikel, und zwar in seiner tagesaktuellen Fassung, das Ergebnis des Ringens verschiedener unbekannter Autoren unbekannter Qualifikation. Das ist häufig kein Problem, bei politisch brisanten Themen allerdings schon! Bereits der zweite Treffer verweist auf die Kategorie „Bilder“. Man findet eine ungeheure Anzahl von Bildern, wo uns, aber nicht unbedingt dem gedachten Nutzer, bereits auf den ersten Blick klar ist, dass es sich nicht um Fotos mit kritischer Absicht handelt. Es fallen ins Auge:

  • Historische Werbeplakate für die Waffen-SS
  • Briefmarken
  • Historische Gemälde
  • Paraden
  • Ordensverleihungen
  • Fotos mit Waffen

All diese Fotos sind Nazi-Produkte mit dem Ziel der Huldigung und Heroisierung. Sie sind allesamt bereits „künstlich“, da für einen bestimmten Zweck kreiert worden, ohne dass dieser durch die Internetsuche benannt wird.   Auf den zweiten Blick fallen allerdings fällt eine zweite Gruppe von Fotos auf, die man pseudohistorisch nennen könnte:

  • „Stills“ aus Computerspielen
  • historisierende, tatsächlich aber aktuelle Inszenierungen
  • aktuelle pro-faschistische Huldigungen, z.B. aus Lettland
  • Werbung für Spielzeug, Büsten, Kleidung usw.

Geht man über zu den Ergebnissen in der Suchrubrik „Videos“, kommt man zur Plattform „youtube“. Auch sie ist offen für jedermann. Es ist kein von einem Rundfunkrat wie auch immer überwachtes Programm, sondern ein Markt von um Aufmerksamkeit buhlenden Anbietern. Als erstes fallen beim Suchbegriff „Waffen-SS“ dann allerdings doch Filme des öffentlich-rechtlichen Fernsehens auf. Die weitergehenden Hinweise, von der blinden künstlichen Intelligenz der youtube-Maschine errechnet, verweisen auf weitere Filme, die den Nutzer „interessieren“ könnten. Bereits im nächsten Schritt landet man bei Zeitzeugenvideos ehemaliger SS-Männer, die ihre Taten rechtfertigen und Schuld leugnen. Deren Aufrufzahlen gehen leicht in die Zehntausende.   Das Betrachten von youtube-Filmen ist kein reines Konsumieren mehr wie beim Fernsehen, sondern es gibt die Möglichkeit sich aktiv einzubringen:

  • durch Erstellen und Hochladen der Filme
  • durch Annahme fiktiver Identitäten (Avatare)
  • durch kommentieren und diskutieren
  • durch Geldverdienen

Als letztes betrachten wir die Rubrik „Shopping“. Hier trifft man auf eine große Anzahl von Produkten wie „Ärmelbänder der Waffen-SS“ für 9,52 €, Spielfiguren, Bücher, Uniformen usw. Die Werbetexte orientieren auf das „rein soldatische“ der Waffen-SS, ihren „Elite-Charakter“ usw. Es gibt sogar Anzeigen. Was kann man sich erhoffen, wenn man unter dem Schlagwort „Waffen-SS“ Werbung macht?   Zusammenfassend kann man feststellen:

  • Es gibt eine ungeheure Anzahl an Material.
  • Es ist ein Markt, es werden Ideen angeboten ebenso wie Waren.
  • Kritisches ist mit apologetischem auf Augenhöhe vermischt.
  • Die Angebote sind in der Mehrzahl apologetisch.
  • Einige, aber eher die Minderheit der Apologetiker, sind offen neonazistisch.
  • Es entkontextualisiert: Es geht um bestimmte Aspekte (z.B. Kleidung) ohne den historischen Zusammenhang.
  • Der Markt ist international.
  • Man kann als Nutzer etwas tun: kaufen, spielen, basteln, kommentieren.
  • An der prinzipiellen Offenheit des Systems wird sich nichts ändern, d.h. man muss sich darauf einstellen, dass alles genannte als Rahmenbedingung unsere Geschichtspolitik wesentlich bestimmen wird.

Es ändert sich an den Ergebnissen nicht einmal etwas, wenn man den Suchbegriff um „Verbrechen“ ergänzt. Was man erhält, sind weitgehend Materialien zum Thema „Verbrechen an der Waffen-SS“ nicht „von der Waffen-SS“. Der nicht in kritischer Nutzung des Internets geübte Nutzer bleibt leicht auf dieser Ebene stehen. Er wird nicht unbedingt dahin kommen zu bemerken, dass z.B. Werbeplakate der Waffen-SS von der Suchmaschine aus geschichtswissenschaftlichen oder pädagogischen Seiten herausgefiltert wurden. Erlebt hat er einen Tsunami an glorifizierenden Bildimpulsen. Wie viele der Nutzer werden sich ihm willig überlassen?

Anforderungen an antifaschistische Geschichtspolitik aus heutiger Perspektive – erste Überlegungen

geschrieben von Dr. Ulrich Schneider, Bundessprecher

7. Juni 2016

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Rückblick und Ist-Stand:

Ich möchte mit einer positiven Aussage beginnen. Wir können festhalten, dass auch bei den heutigen Generationen das Interesse an historischen Themen – bezogen auf die NS-Zeit und den antifaschistischen Widerstand – ungebrochen ist. Dies spiegelt sich in den Medien (Fernsehen bis zu Internet-Präsentationen, z.T. auch auf dem Buchmarkt) deutlich wider.

Unser „Alleinstellungsmerkmal“ als antifaschistischer Verband war in den vergangenen Jahrzehnten dadurch geprägt, dass in unseren Reihen die Zeitzeugen des antifaschistischen Kampfes, die diese Zeit politisch bewusst erlebt und aufgearbeitet hatten, organisiert waren. Ihre Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit gegenüber den nachgeborenen Generationen war das wichtigste Pfund unserer geschichtspolitischen Arbeit.

Bundeskongress der VVN-BdA 2016 in Bochum

Dr. Ulrich Schneider

Ohne zu ausführlich zu werden, möchte ich einzelne Beispiele benennen:

Die sicherlich wichtigste Ebene der Geschichtsvermittlung war die persönliche Begegnung und das Gespräch mit den Zeitzeugen. Dabei war es überhaupt nicht von Bedeutung, dass diese alle historischen Daten korrekt wiedergeben konnten, es waren ihre persönlichen Erfahrungen und Einschätzungen, der gezeigte Mut und die Überzeugungstreue unter den extremen Bedingungen der faschistischen Verfolgung oder im politischen Exil, die auf nachgeborene Generationen den großen Eindruck hinterließen und oftmals eine Motivation zum eigenen Engagement wurde. Und sie vermittelten die Werte der Solidarität und einer Zuversicht, dass Widerstand gegen als ungerecht erkannte Zustände selbst unter den extremsten Bedingungen faschistischer Verfolgung möglich ist – das es dafür aber auch eines kollektiven Handelns bzw. einer Organisation bedurfte, wie Peter Gingold es in seinen Erinnerungen formulierte.

Diese unsere Zeitzeugen bewährten sich auch in den Zeiten des „Kalten Krieges“ und der politischen Restauration in der BRD. Gegen das gesellschaftliche Vergessen und Verdrängen begannen sie teilweise schon Ende der 40er Jahre, ihre Erinnerungen zu verschriftlichen und – zusammen mit Dokumenten – zu publizieren, lange bevor sich die akademischen Kreise mit dem Thema beschäftigten. Da sie selten Verlage dafür fanden, entstand so eine umfangreiche „graue Literatur“. Dabei wurden  – insbesondere regionale und biographische – Veröffentlichungen vorgelegt, die bis heute „Standardwerke“ geblieben sind.

Die Zeitzeugen arbeiteten – gemeinsam mit jungen Leuten – an Konzepten der „Verortung“ von Geschichte durch antifaschistische Stadtrundgänge, Rundfahrten auf den Spuren der Verfolgung und des Widerstandes oder anderen Formen der Sichtbarmachung von historischen Ereignissen. Ausgehend von solchen „Verortungen“ begannen die Bemühungen, die teilweise mit massiven politischen Auseinandersetzungen verbunden waren, durch Gedenktafeln Orte von historischer Bedeutung sichtbar zu machen. Solche Gedenktafeln sind bis heute Ansatzpunkte zur selbstständigen Beschäftigung mit Geschichte für heutige Generationen.

Die Zeitzeugen hatten eine weitere – und für unsere Geschichtsarbeit entscheidende – Kompetenz: Sie waren eine moralische Autorität in der Auseinandersetzung mit allen Formen von Geschichtsrevisionismus und Verfälschung der Geschichte des antifaschistischen Widerstandes. Viele von uns werden sich an die verschiedenen Vorstöße des Geschichtsrevisionismus erinnern, den Historikerstreit Mitte der 80er Jahre, der sich zwar vor allem im akademischen Milieu und in der Publizistik abspielte, bei dem aber die Stimmen der Widerstandskämpfer gegen die Geschichtsrevision ein nicht unbedeutendes Gewicht hatten.

Am besten wird diese Bedeutung aber am Streit um die Gedenkstätte Buchenwald deutlich, als Prof. Niethammer und Leonie Wannemacher ihre unsägliche Schrift über die „roten Kapos“ unter dem Titel „Geheimakte Buchenwald“ publizierten. Hier waren es antifaschistisch orientierte Wissenschaftler, aber insbesondere überlebende Häftlinge des KZ Buchenwald, die diesen geschichtspolitischen Generalangriff auf den antifaschistischen Gehalt dieses Gedenkortes mit Erfolg zurückweisen konnten. Sie konnten sogar erreichen, dass die letzte Ausstellung in der Zeit ihres Bestehens den Forderungen der Überlebenden angepasst wurde. Und manche veränderte Positionen der Gedenkstätten-Leitung zu inhaltlichen Fragen der Lagergeschichte ergaben sich erst durch das intensive Wirken der Überlebenden.

Dass solche geschichtspolitischen Terraingewinne nicht auf Dauer sicher sind, zeigt sich an der in diesem Jahr neu gestalteten Dauerausstellung in Buchenwald. Da die Zahl der aktiven Zeitzeugen deutlich gesunken ist, wird es jetzt sicherlich schwerer, mit dem moralischen Gewicht der ehemaligen Häftlinge aus unserer Sicht notwendige Änderungen zu erreichen.

 

Wenn wir uns die aktuelle geschichtspolitische Landschaft in unserem Land anschauen, dann können wir eigentlich zufrieden hervorheben, dass wir in der geschichtspolitischen Arbeit schon lange keine „Einzelkämpfer“ mehr sind, dass es recht viele – zumeist regionale – Initiativen, Geschichtswerkstätten und andere gesellschaftliche Gruppen gibt, die sich der Erinnerung an die Verfolgten des Faschismus widmen, auch und gerade der lange verdrängten Opfergruppen und Persönlichkeiten aus der Region. Ich möchte hier nur die breite „Stolperstein“-Bewegung“ erwähnen. Auch dort haben wir als VVN-BdA schon lange kein „Alleinstellungsmerkmal“ mehr.

Wo wir aber weiterhin „einzigartig“ sind, sind zwei Themen, die auch zukünftig unsere Geschichtsarbeit prägen sollten:

  1. Wir beschäftigen uns auch weiterhin mit den Tätern (und Profiteuren) der faschistischen Verbrechen. Das Projekt unserer NRW-Kameraden „Verbrechen der Wirtschaft“ ist dabei ein gelungenes Beispiel für diese politische Perspektive und hat, wie die entsprechende Internet-Seite zeigt, ganz eindrucksvolle Ergebnisse hervorgebracht, die in der politischen Auseinandersetzung vor Ort eingebracht werden..
  2. Wir vermitteln die Geschichte aus der Perspektive der Frauen und Männer aus dem antifaschistischen Widerstand. Es geht in unserer geschichtspolitischen Arbeit – bei aller wissenschaftlichen Korrektheit – nicht um „akademische“ Debatten, sondern darum, erstens die Leistung der Widerstandskämpferinnen und –kämpfer zu würdigen und zweitens deutlich zu machen, dass mit diesem Blickwinkel auch eine andere Bewertungen von historischen Daten verbunden ist.

Wenn wir darum kämpfen, dass der 8.Mai 1945 als Tag der Befreiung politisch anerkannt wird, dann bezieht sich diese Bewertung auch auf die Masse der faschistischen Mitläufer, es ist aber in erster Linie das Erleben der Widerstandskämpfer, der KZ-Häftlinge und anderer Verfolgter des Naziregimes, die dieses Datum als „Morgenrot der Menschheitsgeschichte“, wie Peter Gingold es formulierte, empfanden.

 

 

Neue Anforderungen und Möglichkeiten

Das Ausscheiden der Zeitzeugen-Generation aus der aktiven Geschichtsarbeit verändert natürlich die Zugangsmöglichkeiten zu heutigen Generationen. Zwar haben sie weiterhin ein großes Interesse an diesen Themen, aber wir müssen die Formen unserer Geschichtsarbeit diesen Veränderungen anpassen. Ich möchte dies an sieben Punkten entwickeln. Dieser Katalog kann und sollte in der Debatte unseres Bundeskongresses durchaus um weitere Punkte ergänzt werden.

 

  1. „Zeugen der Zeitzeugen“ anstelle der Zeitzeugen selber

Da die meisten Zeitzeugen selber nicht mehr in der Lage sind, die ehemaligen Form aktiver Geschichtsvermittlung zu gestalten, müssen zunehmend diejenigen die Arbeit übernehmen, die von den Zeitzeugen die Informationen bekommen haben und von diesen „gelernt“ haben.

Mein persönliches Beispiel: Führungen durch die Gedenkstätte Buchenwald.

–          Ich verweise immer darauf, dass ich meine Kenntnisse über die Buchenwald-Geschichte nicht nur aus Broschüren und Büchern entnommen habe, sondern diese Informationen  – und das in den wichtigsten Punkten – von Überlebenden des Lagers stammen. Wichtig ist mir bei den Führungen, dass ich damit – wie diese Zeitzeugen – die Perspektive der Häftlinge einnehme und nicht eine „abstrakt“ neutrale oder gar distanzierte Perspektive auf die Lagerwirklichkeit werfe.

Dies betrifft genauso die Berichte aus dem antifaschistischen Widerstand, bei denen auch nicht allein die gedruckten Archivalien (in der Regel die Verfolgerdokumente, Gestapo-Berichte, Gerichtsakten oder zeitgenössische Zeitungsberichte) die „Quelle der Wahrheit“ bilden, sondern die Überlieferungen der Frauen und Männer aus dem Widerstand selber.

Zu diesen Zeugen der Zeitzeugen gehören natürlich auch das Wirken der „Kinder des Widerstandes“, die mit ihrer äußerst verdienstvollen und engagierten Arbeit bemüht sind, dieses Fehlen der Zeitzeugen-Generation aufzufangen. Schon jetzt ist sichtbar, dass sie neue Zugänge zu jungen Generationen erschließen können und – insbesondere in ihrer Arbeit in Schulen und Jugendgruppen – eindrucksvolle Beiträge zur Geschichtsvermittlung aus der Perspektive des Widerstandes leisten. Sie werden darüber morgen auf dem Markt der Möglichkeiten ausführlich berichten.

 

  1. Videos und Interviews als „Ersatz“ für reale Begegnung

Eine zweite Ebene der Kompensation dieses Fehlens ist die Arbeit mit Videomitschnitten von Veranstaltungen oder Interviews mit den jeweiligen Zeitzeugen. Diese „bewegten Bilder“ und der O-Ton des Zeitzeugen sind sicherlich beeindruckend, wenn es darum geht, einen Eindruck von dem Menschen, um den es geht, zu bekommen. Solche Materialien haben jedoch zwei grundlegende Probleme, die allein durch das vorhandene Interview nicht aufgefangen werden können:

Jedes Interview und jede Veranstaltungsaufzeichnung bildet einen zeitlich begrenzten Ausschnitt einer Begegnung mit diesem Menschen ab. Dazu gehört auch, dass diese Aufzeichnungen unter ganz spezifischen Bedingungen entstanden sind und – selbst bei längeren Interviews – sich auf einzelne Fragestellungen fokussieren. Zudem sind die thematischen Zugänge und Fragestellungen, über die in den Interviews besprochen wird, durchaus zeitbezogen. Da sich die Zugänge zu historisch-politischen Fragen immer wieder verändern, wird es schwer, diese Materialien 1:1 in der Vermittlungsarbeit einzusetzen.

Wichtig ist es, solche Interviews in eine Präsentation – mit vermittelnden Erläuterungen – einzubinden, damit die Fragestellungen auch für heutige Generationen nachvollziehbar bleiben. Wir müssen uns selber auf die möglichen Fragen vorbereiten, um darauf historische bzw. politische Antworten gegeben zu können.

Kurt Bachmann hat Ende der 70er Jahre begonnen, Fragen von Jugendlichen in seinen Veranstaltungen aufzuschreiben, und auf die am häufigsten gestellten Fragen „Musterantworten“ aufgeschrieben. Vielleicht kann das für uns auch eine Anregung sein.

 

  1. Verortung von Geschichte möglich (Spurensuche und Stolpersteine)

Eine wichtige Möglichkeit, Zugänge zum Geschichtsverständnis von jungen Menschen heute zu gewinnen, liegt im Konzept der „Verortung von Geschichte“. Dabei geht es darum, sichtbar bzw. nachvollziehbar zu machen, dass geschichtliche Ereignisse nicht weit weg von ihnen stattgefunden haben (Berlin, Auschwitz oder irgendwo auf der Welt), sondern die Folgen von politischen Entwicklungen in der eigenen Lebenswirklichkeit nachzeichenbare Spuren hinterlassen hat. Anknüpfungspunkte können dazu sein: Gedenktafeln an entsprechenden Gebäuden bzw. an Stellen, an denen das Ereignis stattgefunden hat, Stolpersteine für Verfolgte und Ermordete, geführte Rundgänge, auf denen historische Ereignisse visualisierbar und verortbar werden.

Da die personalen Kapazitäten unserer Organisation begrenzt sind, haben sich als interessante Konzepte sogenannte „Video-Walks“ erwiesen, die es per Internet oder als Smartphone Projekt ermöglichen, sich selbst auf die Suche nach den historischen Zeugnissen und Ereignissen zu machen. Bei solchen Konzepten sind Auszüge von Interviews ehemaliger Zeitzeugen eine überzeugende Möglichkeit, deren Aussagen, deren „lebendiges Beispiel“ für die Geschichtsvermittlung zu nutzen.

 

  1. Neue Möglichkeiten der Zugänge zu historischen Themen (Themen durch Aktualität erweitern)

Was unsere Zeitzeugen früher im politischen Gespräch umsetzen konnten, als nämlich junge Menschen sie nicht nur nach historischen Ereignissen und Erfahrungen befragten, sondern auch danach, was sie denn zu den heutigen Problemen, mit denen sich die Nachgeborenen beschäftigten (Frieden, gesellschaftliche und soziale Kämpfe, Neofaschismus und Rechtsentwicklung etc.), für eine  Meinung hatten, müssen wir heute als Einstieg in unsere Form der Geschichtsvermittlung nutzen.

Dabei sollte es nicht allein um das Auftreten von militanten Neonazis, Brandstiftungen und andere Gewalttaten gegen Flüchtlingsunterkünfte oder den Aufschwung der AfD oder der Pegida – Aufmärsche in Dresden und einigen anderen Städten gehen. Hier engagieren sich junge Leute in oft ganz direkter Form. Auch die Fragen Krieg und Frieden, Eintreten für eine solidarische Gesellschaft und gegen Hegemonie von multinationalen Konzernen im wirtschaftlichen Bereich sind Anknüpfungspunkte zum Engagement junger Menschen.

Uns muss es gelingen, – ohne falsche oder verfälschende Analogien – diesen politischen Widerstand mit dem antifaschistischen Vermächtnis der damaligen Generationen zu verbinden, indem beispielsweise deutlich gemacht wird, dass die Losung „Nie wieder Krieg“ nicht nur das Vermächtnis der Jahre 1945/46 war, sondern schon mit der Losung „Wer Hitler wählt, wählt Krieg!“ seine prognostische Bedeutung hatte.

Junge Menschen engagieren sich heute in vielfältiger Form für Flüchtlinge und gegen alltäglichen Rassismus. Sie kämpfen dabei auch gegen Fluchtursachen und eine Politik, die zwar eine „Willkommenskultur“ propagiert, gleichzeitig aber eine Abschottung der Festung Europa praktiziert. An diesem Punkt kann es uns sehr gut gelingen, diese Themen mit der Erinnerung an diejenigen Menschen zu verbinden, die seit 1933 auch aus Deutschland fliehen mussten und sich im Exil politisch gegen den deutschen Faschismus engagierten (z.B. Peter Gingold). Für sie bedeutete die Flucht das Aufgaben aller Existenzsicherheit, sie überlebten durch die Solidarität in den Aufnahmeländern und sie kämpften zumeist gemeinsam mit den jeweiligen nationalen Widerstandsbewegungen gegen den gemeinsamen Feind, den deutschen Faschismus. Diese Erfahrungen der Solidarität und des gemeinsamen Handelns zu vermitteln, kann jungen Menschen auch eine historische Bestätigung ihres heutigen Engagements liefern.

Und wenn es um soziale Auseinandersetzungen geht, dann müssen wir die historischen Erfahrungen einbringen, dass die „Ethnisierung des Sozialen“ durch Ausgrenzung und Marginalisierung ein rassistisches Konzept ist, dass zu dem größten Menschheitsverbrechen, nämlich dem industriellen Massenmord geführt hat.

Und wo ebenfalls unsere Geschichtsperspektive Antworten für heute geben kann, ist die Frage der politischen Bündnisbreite des antifaschistischen Handelns. Unsere Zeitzeugen haben uns immer ermahnt, die Lehre des Scheiterns der antifaschistischen Kräfte 1933 nicht zu vergessen: „Schafft die Einheit!“, wie Wilhelm Leuschner es ausdrückte. Es gehört zu den zentralen Herausforderungen für unsere heutige politische und geschichtspolitische Arbeit, diese antifaschistische Bündnispolitik auch historisch abzuleiten.

 

  1. Neue Medien und Intermedialität der Geschichtsvermittlung (Präsenz im Internet und interaktive Angebote)

Eine große Aufmerksamkeit müssen wir auf die Nutzung aller Formen der neuen Medien legen, um mögliche Zugänge zu heutigen Generationen zu finden. Ich weiß, dass viele von uns natürlich mit Computer und Internet vertraut sind. Durch die gute Unterstützung auf Bundesebene haben auch die meisten aktiven Kreisvereinigungen und Basisorganisationen einen eigenen – und durchaus ansprechenden – Internet-Auftritt. Die Bundesorganisation ist selbst bei Facebook präsent. Das alles reicht aber noch lange nicht aus, um unsere Inhalte im „Nirvana“ des Internets auch an die jungen Menschen heranzubringen.

Wir müssen die Erfahrungen aus unseren beiden inhaltlichen Angeboten zum Jahr 1933 und zum Jahr 1945 sehr genau auswerten. Dabei geht es nicht nur darum, welche Inhalte konnten wir bereitstellen, sondern auch um Zugriffszahlen auf die Seiten, Rückantworten und andere Kriterien, an denen wir die Wirksamkeit der Seite ablesen können.

Wir müssen uns selbstkritisch fragen, ob wir es hinreichend geschafft haben, in einer weitgehend medialisierten Welt so deutliche Signale gesetzt zu haben, dass wir und unsere geschichtspolitischen Angebote im größerem Umfang überhaupt von der intendierten Zielgruppe wahrgenommen wurden.

Wir sollten überlegen, ob wir in der Lage sind (natürlich mit externer Unterstützung) weitere interaktive Angebote zu geschichtspolitischen Fragestellungen zu generieren und wie wir diese so mit unseren anderen Arbeitsformen verknüpfen können, dass diese Angebote tatsächlich wahrgenommen werden. Dazu gehört auch die Anpassung unserer Seiten und Inhalte an die Wiedergabe auf mobilen Endgeräten (Smartphone u.a.), damit wir mit diesen – heute genutzten – Informationsmedien problemlos erreicht werden können. Wir können positiv vermerken, dass wir schon gute Schritte in der Cross-media-Kommunikation gegangen sind. Aber hier ist noch viel Platz für weitere Entwicklungen, wenn wir nicht in der Flut elektronischer Angebote untergehen wollen.

Das betrifft natürlich nicht nur unsere Geschichtsarbeit, aber auch in diesem Zusammenhang sind diese Medien unverzichtbar.

 

  1. Klassische Formen nicht vernachlässigen (Aufsätze, Broschüren und Publikationen)

Nach diesem notwendigen Hinweis auf die elektronischen Medien möchte ich dennoch eine Lanze brechen dafür, dass wir die „klassischen“ Formen unserer Geschichtsvermittlung nicht vernachlässigen, nämlich die kurzen lokalen Flyer zur historischen Erinnerungsarbeit, die Kleinbroschüren oder die lokalen und regionalen Publikationen.

Mit solchen Formen der Veröffentlichung kann es uns gelingen, an einzelnen Punkten geschichtspolitische Setzungen vorzunehmen, in gesellschaftliche Debatten einzugreifen oder in Zeiten gesteigerter Aufmerksamkeit für ein Thema unsere Perspektiven einzubringen. Ein Beispiel aus der Kasseler Kreisvereinigung wäre die Broschüre zum 8.Mai vergangenen Jahres, die wir gemeinsam mit dem Kasseler Friedensforum und dem DGB herausgegeben haben, in der die Zerstörung der Stadt, der antifaschistische Neuanfang und ihre politischen Akteure sowie die Perspektive „Bedeutung des 8.Mai für heute“ thematisiert wurde. Mehrere hundert Exemplare konnten wir am Ostermarsch, beim 1. Mai und der öffentlichen Veranstaltung zum 8.Mai 2015 verkaufen. Ich bin mir sicher, dass wir damit einen Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte geleistet haben, der auch in den nächsten Jahren noch wirksam sein wird, da recht viele junge Leute diese Broschüre erworben haben.

Mein Plädoyer in diesem Zusammenhang ist, dass es wichtiger ist, solche politische Einbindung unserer Geschichtsarbeit zu nutzen, als auf den „großen Wurf“, der Gesamtdarstellung des antifaschistischen Widerstands in der Region, in dem Ort zu warten. So verdienstvoll solche Gesamtdarstellungen auch sind, sie richten sich vor allem an ein spezialisiertes Fachpublikum. Wir sollten dagegen die Einbindung unserer Geschichtsarbeit in die politischen Kämpfe der Gegenwart in den Fokus nehmen.

 

  1. Neue Mitstreiter an die geschichtspolitische Arbeit heranführen

Zu den großen Aufgaben unserer eigenen organisationspolitischen Arbeit gehört es, immer wieder neue Mitstreiter aus den Reihen unserer Organisation an die Geschichtsarbeit heranzuführen. In den vergangenen Jahrzehnten war – und ist es in vielen Kreisvereinigungen bis heute – die Geschichtsarbeit eine Spezialisten-Arbeit derjenigen, die sich als Historiker, Geschichtslehrkräfte oder aus persönlichem Interesse schon viele Jahre mit den geschichtlichen Themen beschäftigt haben. Damit haben sich diese Kameradinnen und Kameraden ein beeindruckendes Wissen über die regionale und überregionale Geschichte von Widerstand und Verfolgung angeeignet, was sie auch in das Leben der Organisation einbringen. Aber – und das muss auch in aller Deutlichkeit gesagt werden – nicht nur unsere Zeitzeugen scheiden aus, auch bei der zweiten Generation mussten wir bereits manch schmerzhaften Verlust erleben. Schon aus diesem Grund müssen wir sicherstellen, dass das gesammelte Wissen weitergegeben wird.

Zweitens ist die Einbindung von Mitstreitern der jungen Generationen ein wichtiges Instrument, die Fragestellungen und Perspektiven heutiger Jugendlicher in der Aufarbeitung und Vermittlung unserer geschichtspolitischen Themenstellungen zu berücksichtigen.

Damit verbessern wir unsere Möglichkeiten, dass unsere Geschichtsarbeit aus der Perspektive der antifaschistischen Kämpferinnen und Kämpfer, der Verfolgten und Überlebenden für heutige und zukünftige Generationen wirksam werden kann.

Und das muss unser gemeinsames Ziel bleiben.

 

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