Politischer Bericht an den 6. Bundeskongress

geschrieben von Axel Holz und Cornelia Kerth

1. April 2017

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Liebe Kameradinnen und Kameraden,

Seit unserem letzten Bundeskongress 2014 hat sich die politische Situation, in der wir uns positionieren und bewegen müssen, dramatisch verändert.

 

Vor drei Jahren haben wir Euch die neueste Version unserer Ausstellung  „Neofaschismus in Deutschland“ vorgestellt, in der die AfD nur als Randnotiz vorkam. Es gab noch keine PEGIDA-Aufmärsche und brennende Unterkünfte von Geflüchteten schienen der Vergangenheit anzugehören.

 

Im Februar wurden in der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion für das Jahr 2016 3.500 Angriffe auf Geflüchtete gemeldet.   988 mal richtete sich die Gewalt gegen Unterkünfte. 2.545 mal wurden Menschen angegriffen. 560 von ihnen wurden verletzt, darunter 43 Kinder. Hinzu kommen 217 Angriffe auf Hilfsorganisationen und Unterstützer_innen. Das sind im Schnitt fast 10 Angriffe an jedem einzelnen Tag. Es ist so alltäglich geworden in Deutschland, dass es kaum noch in der Zeitung steht – ganz im Gegensatz zu nahezu jedem Delikt, das Geflüchteten zur Last gelegt wird.

 

Das ist nur eines unter vielen Indizien, wie die rassisitischen Mobilisierungen und die AfD die politische Achse der Republik bereits nach rechts verschoben haben. Bis Silvester 2015 galt nämlich, dass die Nationalität von Verdächtigen grundsätzlich nicht veröffentlicht werden sollte. Erst nach den massenhaften sexuellen Belästigungen junger Frauen in Köln und anderen Städten durch Männer, die als“Nordafrikaner”beschrieben wurden, änderte sich das unter dem Einfluss einer verheerenden öffentlichen Debatte, die wochen- und teilweise monatelang die Schlagzeilen dominierte.

 

In dieser Kampagne – so muss man es nennen – wurde die rechte Hetze von der “Lügenpresse”, die unliebsame Nachrichten unter den Tisch kehrt, bis zum “Kartell einer kleinen Gruppe von Politikern“, die der „gesellschaftsschädlichen Political Correctness“ verpflichtet ist, wirkmächtig.

 

Gerade noch war die „deutsche Willkommenskultur“ gefeiert worden. Zehntausende freiwillige Helferinnen und Helfer leisteten großartige Unterstützung, wo der Staat sich überfordert gab und noch in ihrer Ansprache zum Jahreswechsel hatte Angela Merkel „Wir schaffen das“ gesagt.

 

Als sei ein Hebel umgelegt worden, war diese Stimmung von einem auf den anderen Tag aus dem öffentlichen Leben verschwunden. Betrachtungen über angeblich kulturell bedingte Frauenverachtung nordafrikanischer, orientalischer oder muslimischer Männer, über steigende „Ausländerkriminalität“, über empörende „Anspruchshaltung“ von Menschen, die nach nach Monaten in Lagerhallen endlich eine menschenwürdige Unterkunft verlangten, um nach der langen Flucht unter katasrophalen Bedingungen nun endlich zur Ruhe kommen zu können, waren täglich in allen Medien zu finden. Und natürlich die ungezählten Talkrunden auf allen Kanälen zum Thema „Können wir das wirklich schaffen?“, in denen nun endlich regelmäßig auch die AfD zu Wort kam.

 

Es ist vermutlich nicht allzuweit hergeholt, anzunehmen, dass die Erfolge der AfD bei den Wahlen im März 2016 auch diesem Klima zuzuschreiben sind, in dem sie sich als diejenigen darstellen konnten, die das, was nun flächendeckend problematisiert wurde, von Anfang an kritisiert hatten. Inzwischen wird über Burka-Verbote diskutiert, Menschen selbst nach Afghanistan abgeschoben, weil Politiker glauben, damit Wahlen gewinnen zu können.

 

Anders als häufig dargestellt, hat der Aufstieg der AfD allerdings nicht erst begonnen, nachdem die Bundeskanzlerin die Öffnung der Grenzen für Hunderttausende verzweifelte Menschen anwies, die auf der Flucht vor Kriegen, Verfolgung und Elend versuchten über die „Balkanroute“ den reichen (Nord-)Westen Europas zu erreichen und dort auf Ablehnung, Verweigerung von Schutz und Hilfe und teilweise offene Pogromstimmung gestoßen waren.

 

Schon ein knappes Jahr vorher hatten Ende 2014 die ersten PEGIDA-Märsche in Dresden stattgefunden und die Zahl derer, die dort und anderswo gegen „Merkel“ und die „Lügenpresse“ demonstrierten und beide offensichtlich mit der halluzinierten „Islamisierung des Abendlandes“ in Verbindung brachten, war auf 20- bis 30.000 an jedem Montag gestiegen.

 

Auch der Sieg des völkisch-nationalen Teils der AfD über die „Euro-Kritiker“ hatte schon im Sommer 2015 den Weg für Gauland, Höcke und Co. geebnet. Insofern stellt die weit verbreitete Interpretation der rasanten Entwickung einer extrem rechten Partei als parlamentarischer Arm einer ebensolchen Bewegung als Folge einer „Flüchtlingskrise“ eher eine Verharmlosung des Phänomens dar als eine Erklärung, auf deren Grundlage wirksame Gegenstrategien entwickelt werden können.

 

Inzwischen sitzt die AfD im Europaparlament und in 11 von 16 Landesparlamenten und nimmt Kurs auf den Bundestag. Dass ihre Umfragewerte aktuell sinken, spitzt die Auseinandersetzung um Inhalte und Personal vor ihrem Kölner Parteitag zu. So wie in ihrem öffentliche gewordenen „vertraulichen“ Papier zur Wahlkampf-Strategie eine anzustrebene Öffnung zur „politischen Mitte“ der Orientierung auf die bisherigen Wählerinnen und Wähler untergeordnet wird, dürfte diese Auseinandersetzung zur Stärkung des völkisch-nationalistischen Flügels und der Position Höckes und seiner „neurechten“ Freunde führen.

 

Unbestreitbar bilden die politisch herbeigeführte Erosion des Sozialstaats zugunsten verallgemeinerter Konkurrenz in der „Ellbogen-Gesellschaft“ in allen westlich-kapitalistischen Staaten eine wesentliche Voraussetzung für die Abkehr vieler Menschen von einem parlamentarischen System, das sein Versprechen – einen gewissen Ausgleich der widerstreitenden sozialen Interessen zu organisieren – nicht mehr einlöst.

 

Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass z. B. Trump seiner Anhängerschaft  die Schaffung von Arbeitsplätzen als Folge ultranationalistischer Politik verspricht und mit „Obama-Care“ eines der wenigen sozialstaatlichen Elemente in der amerikanischen Gesellschaft wieder abschaffen will. Auch Programm und Propaganda der AfD lassen eher eine Verächtlichmachung derjenigen erkennen, die auf die sozialen Sicherungssysteme angewiesen sind, als dass sich die AfD auch nur verbal zu deren Anwältin machen würde.

 

Kurz: die seit der Sinus-Studie in den 1980er Jahren bekannte „latente“ Zustimmung zu extrem rechten Positionen liegt nun offen zutage und die darauf basierende Bewegung und ihre Partei sind zu einer wesentlichen Bedrohung für alles geworden, was wir als die antifaschistischen Grundlagen dieses Staates ansehen und für alle, die in ihrer völkischen Weltsicht keinen Platz haben. Und diesen Kräften ist es in kurzer Zeit gelungen, das politische Klima im Land bereits deutlich nach rechts zu verschieben.

 

Das ist für uns Grund genung, uns ihr mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln und gemeinsam mit allen, die unsere Sorge teilen, entgegenzustellen.

 

Das tun wir mehr als einem Jahr mit der Kampagne „Aufstehen gegen Rassismus“, zu deren Trägerkreis wir gehören. Ziel der Kampagne ist, der Afd bei den 2017 anstehenden Landtagswahlen und bei der Bundestagswahl „klein“ zu kriegen.

 

Ein Ziel ist die Ausbildung von 10.000 „Stammtischkämpfer_innen“, die ermutigt und befähigt werden sollen, sich rechten Parolen entgegenzustellen, wo immer sie auftauchen: in der Familie, in Schule, Uni oder Betrieb, im Bus oder beim Bäcker nebenan und, das ist besonders wichtig, wo immer die AfD sich zeigt. Zum Beispiel an Infotischen oder bei Veranstaltungen im öffentlichen Raum.

 

Die Kampagne wurde vor ziemlich genau einem Jahr bundesweit gestartet und hat sich inzwischen in vielen Gegenden regionalisiert. In vielen Bundesländern gibt es regionale Trägerkreise, aber jede Gruppe, jeder Freundeskreis, auf einzelne Personen können mitmachen. Damit das möglich wird, gibt es „Aktions-Kits“, die alles enthalten, was man braucht, um einen Infostand der AfD angemessen zu begleiten – sogar eine „Gebrauchsanleitung“. Ihr könnt das heute Nachmittag alles selbst kennenlernen.

 

„Aufstehen gegen Rassismus“ findet in unserer Bundesgeschäftsstelle statt, wir haben einen zusätzlichen Raum angemietet und unser Freiwilliger Gerd und unserer beiden Praktikantinnen Tini und Gini unterstützen die beiden Frauen, die die Kampagne hauptamtlich koordinieren. Unser Geschäftsführer Thomas hat wesentlich an dem Konzept für die Stammtischkämpfer_innen-Ausbildung mitgearbeitet und mehrere Kameraden arbeiten als Trainer und Teamer mit.

 

Das ist eine gigantische Anstrengung, die wir hier gemeinsam mit der Interventionistischen Linken, mit Jungsozialisten und Naturfreunden, mit der Partei die LINKE und Attac, mit lokalen und regionalen antifaschistischen Bündnissen und mit einer zunehmenden Zahl von Gewerkschaftsgliederungen, besonders aus ver.di und IGM unternehmen. Und das Beste ist, dass sich immer mehr Menschen, die vorher politisch nicht aktiv waren, sich an der Kampagne beteiligen und dass es sehr viele Menschen gibt, denen es ein Bedürfnis ist, sich an Protesten gegen eine demokratie- und emanzipationsfeindliche, rassistische, völkisch-nationalistische, antisoziale und – nicht zu vernachlässigen – militaristische Partei zu beteiligen.

 

Unser originärer Beitrag zur Bekämpfung der AfD ist die neue Ausstellung «Der Arm der Bewegung», die die Neofa-Kommission erarbeitet hat und die hier heute vorgestellt wird. Mit ihr wollen wir den Charakter der AfD, ihre vielfältigen Verbindungen in unterschiedliche rechte Milieus darstellen und auf politische Bedingungen verweisen, die ihr entgegenkommen.

 

 

Kameradinnen und Kameraden,

 

die erste Losung für unseren Kongress heißt  „Deutsche Großmachtträume zum Platzen bringen“ und weist darauf hin, dass die Rechtsentwicklung in unserer Gesellschaft durchaus auch von den aktuell Regierenden vorangetrieben wird.

 

Schon 2014 haben wir die eindeutige und massive Parteinahme der Bundesregierung für die auch von Faschisten befeuerte und gesteuerte Maidan-Revolte in Kiew kritisiert und in die Bestrebungen zur Ausweitung der deutschen Vormachtstellung in Europa eingeordnet. Inzwischen ist die Bundeskanzlerin zur „Patin“ des türkischen Diktators Erdogan geworden, der mit den Milliarden, die er aus Europa für Türsteher-Dienste gegen Flüchtende kassiert, seine Anhängerschaft alimentiert und Gegner mit Willkür und Terror verfolgt.

 

Diesem Modell folgend verhandelt Deutschland mit weiteren Diktatoren, wie sie aufgerüstet werden können, um diejenigen, die vor ihnen fliehen wollen, daran zu hindern sich auf den Weg in Richtung Europa zu machen, z. B. mit dem vom Internationalen Gerichtshof als Kriegsverbrecher ausgeschriebenen Präsidenten des Sudan, Omar Bashir. Auch der Versuch des damaligen Außenministers Steinmeier auf – buchstäblich – Teufel komm raus eine libysche „Einheitsregierung“ zu präsentieren, diente wesentlich dem Zweck mit ihr Verträge über die Kontrolle der libyschen Küste abschließen zu können.

 

Einstweilen patroulliert die Bundesmarine im Mittelmeer, um „Menschenschmuggel“ und „Schleuserbanden“ zu bekämpfen, das heißt, aufgebrachte Flüchtlingsboote  unter Wegnahme von Essen, Wasser und Benzin zur Umkehr zu zwingen. Nur bereits in Seenot geratene Schiffspassagiere werden gerettet, was mit jenen geschieht, die ohne Reserven auf den Rückweg geschickt werden, interessiert niemand.

 

Unterdessen hat die Gauck’sche Ansage von der größeren militärischen „Verantwortung“ Deuschlands, die seiner gewachsenen politischen Bedeutug folgen müsse, materielle Gestalt angenommen. Bis 2030 soll sich der Rüstungsanteil im Bundeshaushalt verdoppeln, die Bundeswehr soll personell deutlich verstärkt und mit neuen Waffensystemen ausgerüstet werden, um an immer mehr Kriegsschauplätzen „deutsche Interessen“ zu vertreten.

 

Einer der neuen Einsatzorte der Bundeswehr ist Mali, wo sich die Bundeswehr am „Krieg gegen den Terror“ beteiligt und ganz nebenbei z. B. in Gao die afrikanischen Migranten, die aus Marokko durch die Wüste abgeschoben wurden, in Empfang nehmen, erkennungsdienstlich behandeln und im Knast abliefern.

 

Der Wahlsieg des ultrareaktionären Hasadeurs Trump in den USA, der mit dem Schlachtruf „America first“ den eigenen Führungsanspruch mit der Forderung nach einem „Lastenausgleich“ verbindet, liefert den willkommenen Vorwand dafür, das Projekt einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft mit Nachdruck voranzutreiben. Gleichzeitig werden Pläne für den möglichen Einsatz der Bundeswehr im Inneren vorangetrieben. Um das notwendige Personal für die Truppe zu rekrutieren, wird an Schulen, bei Ausbildungsmessen und in der Berufsberatung der Arbeitsämter und Jobcentern geworben; die Plakatwerbung ist an Zynismus kaum zu überbieten. Beispiel : „Hier geht es um meine Patienten, nicht um den Profit.“

 

Nun steht die deutsche Aufrüstung natürlich nicht allein. Wir sind mitten in einer Auseinandersetzung um die Neuaufteilung der Welt, um die Kontrolle über Ressourcen, über Öl, Wasser, Boden und Bodenschätze und natürlich um Märkte. Sämtliche Waffenarsenale werden modernisiert, neue atomare Bedrohungen entstehen und der Drohnenkrieg hat längst begonnen. Militärische Machtdemonstrationen sind allgegenwärtig und das südchinesischen Meer könnte der Ort sein, an dem der nächste große Krieg beginnt.

 

Das alles erfordert eine starke Friedensbewegung – oder besser: Antikriegsbewegung. Leider ist dort aber die Mobilisierungsfähigkeit weit von den Notwendigkeiten entfernt und das liegt auch daran, dass in Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um den Charakter der „Montags-Mahnwachen“ in den traditionellen Bündnissen das gemeinsame Verständnis von Bündnisarbeit stark gelitten hat.

 

Es gibt zarte neue Pflänzchen in Form neuer regionaler Netzwerkstrukturen, der „Aufschrei“-Initiative gegen Rüstungsexporte oder Bildung ohne Bundeswehr, aber eine gemeinsame Zuspitzung, die Grundlage einer erfolgreichen Kampagne sein könnte, fehlt. Leider sind auch unsere eigenen Strukturen bisher zu wenig entwickelt, um gestaltenden Einfluss nehmen zu können. Zwar haben wir inzwischen eine Bundeskommission „Frieden und Antimilitarismus“, die regelmäßig diskutiert und Material erstellt, aber zum einen sind etliche Landesvereinigungen dort noch nicht vertreten, zum andern ist nicht in jedem Fall die Rückkoppelung mit den Diskussionen und Planungen in den Landesvereinigungen sichergestellt. Da haben wir noch viel zu tun.

 

Liebe Kameradinnen und Kameraden,

 

seit 2007, also volle 10 Jahre haben wir mit der Kampagne nonpd einen Schwerpunkt unserer Arbeit dem Verbot der NPD gewidmet. Ihr alle habt daran mitgewirkt und mit Sicherheit war nonpd in Hinblick auf die Verbreitung und Wirkung eine unserer erfolgreichsten Aktivitäten in den letzten 27 Jahren.

 

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, eine dem Faschismus wesensverwandte Partei, die aggressiv-kämpferisch auf die Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung hinarbeitet, nicht zu verbieten, weil sie zu schwach sei, ihr Ziel zu erreichen, ist nicht nur eine enttäuschende politische Niederlage, sondern ein Skandal. Noch wissen wir nicht, wie sich das extrem rechte Spektrum neu sortieren wird, welche Rolle die NPD in diesem Spektrum einnehmen wird. Wir werden uns heute Nachmittag auch mit diesem Thema befassen und müssen uns eine Strategie erarbeiten, mit der wir angemessen offensiv auf die neue Situation reagieren.

 

In enger Verbindung mit der Weigerung Faschisten aus dem öffentlichen Leben zu verbannen, steht die nach wie vor in 12 von 16 Bundesländern übliche Beobachtung unserer Vereinigung durch den Inlandsgeheimdienst mit dem irreführenden Namen „Verfassungsschutz“. Ob – wie in Bayern – die Nennung der VVN-BdA im jährlichen Bericht kriminalisierend wirken soll und zugleich mit dem Verlust der Gemeinnützigkeit droht, oder ob der VS uns und einzelne Mitglieder „still“ im Visier hat, Daten speichert um sie bei gegebenem Anlass zu verwenden – beides ist nicht hinnehmbar.

 

Insbesondere in dem Verfahren, das Silvia Gingold zur Zeit gegen den hessischen VS führt, wurde deutlich, das in der Zwischenzeit die elementare inhaltlich Grundlage unserer Arbeit, der Schwur der befreiten Häftlinge von Buchenwald selbst, als verfassungsfeindlich denunziert wird. Die „Vernichtung des Faschismus mit seinen Wurzeln“ stellt nach Schlapphut-Lesart einen Verweis auf die immer wieder zitierte „orthodox-kommunistische Faschismus-Definition“ dar, derzufolge jede nicht-kommunistische Gesellschaftsform zum Faschismus führe.

 

Das können wir nicht stehen lassen. Wir werden geeignete Initiativen entwickeln müssen, um diesen Angriff zurückzuweisen. Es sollte uns nicht sehr schwer fallen, dafür Bündnispartner zu gewinnen, denn bis heute berufen sich Antifaschistinnen und Antifaschisten aller Art, auch in der SPD und in den Gewerkschaften selbstverständlich auf dieses historische Erbe. Und das Beispiel unserer Bayern zeigt ganz deutlich, dass man auch unter erschwerten Bedingungen mit dieser Auseinandersetzung neue Partner und neue Mitglieder gewinnen kann.

 

Kameradinnen und Kameraden,

 

Ulrich Schneider hat gestern darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, dass wir uns auf die Zeit ohne „Zeitzeugen“ vorbereiten. Wir haben dazu vor einem knappen Jahr einen ganzen außerordentlichen Bundeskongress veranstaltet. Leider haben dort viele gefehlt, dennoch haben wir dort gute und wegweisende Diskussionen geführt, Gedanken entwickelt und schon existierende gute Beispiele für die Geschichtsarbeit der Zukunft kennengelernt. Einige Kreis- und Landesverbände haben die Konferenz für ihre künftige Arbeit ausgewertet und neue Ideen entwickelt.

 

Wir müssen an diesen Ansätzen dranbleiben und sie weiterentwickeln. Gerade in der Auseinandersetzung mit der erstarkenden Rechten, gewinnt die Erinnerung an den Widerstand an Bedeutung und an Attraktivität vor allem für junge Menschen, die aktiv werden wollen. Das ist das Thema, bei dem niemand mehr zu bieten hat als wir. Das gibt uns die Chance, einen neuen Generationenwechsel einzuleiten, denn die Jungen von 1972 und den Jahren danach sind grau geworden.

Zwei Tage in Riga, Sonne, Spazieren und Proteste gegen die Waffen-SS

geschrieben von Ein Freiwilliger der VVN-BdA

23. März 2017

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  Ein Freiwilliger der VVN-BdA berichtet von der Reise nach Riga zu den Protesten am 16. März   Lettland habe ich ständig verwechselt mit Litauen oder Estland und habe die drei Hauptstädte dem falschen Land zugeordnet. Ansonsten hatte ich einmal gehört, dass es irgendwo im Baltikum einen komischen Aufmarsch gibt, aber in Osteuropa passiert ja so einiges, weshalb ich dem Ganzen kaum je meine Aufmerksamkeit geschenkt habe. In diesem Jahr nun hat sich das geändert. Mit der VVN-BdA bin ich nach Riga gefahren und habe versucht, einige Worte Lettisch zu lernen. Dabei schien zunächst alles nicht so recht zu klappen. Ob wir überhaupt ins Land kommen würden, war bis zuletzt nicht sicher. Im letzten Jahr sind Kamerad*innen der VVN-BdA an einem deutschen Flughafen nicht ins Flugzeug nach Riga gelassen worden, weitere am Flughafen in Riga festgesetzt und einfach abgeschoben worden. In Lettland angekommen, erinnerten uns dicke Eisschollen auf einem Fluss an den Frost, der gerade erst einer frühlingshaften Wärme gewichen war. Die Sonne schien über einem strahlend blauen Himmel und ich hatte die Sonnenbrille vergessen. Durch waldige Landschaften mit Birken und Kiefern fuhren wir nach Riga.

presse sonne

Johanneskirche, Riga

Die Schatten der Geschichte waren gleichwohl präsent, wir fanden sie sogar, ohne sie gesucht zu haben. Am ersten Abend landeten wir in einer hübschen Kneipe, die von Student*innen hergerichtet worden war. Aufmerksam war sie dekoriert mit allerlei Nippes und militärischen Memorabilien von verschiedenen Armeen; und uns als Deutschen wurde eine Munitionskiste, die nun ein Tisch war, vorgeführt, auf der noch einige deutsche Worte entziffert werden konnten. Einen politischen Hintergrund schien all das nicht zu haben, aber mir kam es schon merkwürdig vor, dass junge Menschen einen gemütlichen Raum ausgerechnet militärisch dekorieren. Immerhin war auch ein Telephon eines sowjetischen Atom-U-Boots darunter. Auf dem Weg nach Riga passierten wir ein Mahnmal für die Opfer des Faschismus, scheinbar noch aus der Zeit der Sowjetunion. Im Wald fanden wir einen einfachen Friedhof mit einem Obelisken, dem oben der rote Stern abgesägt war und wahrscheinlich eine Tafel zur Ehrung der Roten Armee fehlte. Eine übrig gebliebene oder vielleicht auch neue Tafel erklärte, dass hier Tausende Menschen von den faschistischen Okkupanten ermordet worden waren. In Lettland gab es 1941 eine Art Interim. Die sowjetischen Truppen waren nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht schon aus dem Baltikum abgezogen und die deutsche Verwaltung noch nicht fest installiert. In diesem Machtvakuum hatten die lettisch-nationalistischen Gruppen schon mit den Massenmorden begonnen. Im Juli 1941 starben in der größten Synagoge von Riga ungefähr 300 Juden. Lettische Nationalisten hatten sie in die Synagoge getrieben, die Türen mit Brettern vernagelt und anschließend das Gebäude in Brand gesteckt. Als später die Deutschen das Land fest im Griff hatten, wurden Teile dieser Gruppen in die Waffen-SS überführt und haben sich am Krieg gegen die UdSSR beteiligt, die vorher im Zuge des Hitler-Stalin-Paktes Lettland überfallen hatte. Eine Resistancé gab es gleichwohl in Lettland nicht. Das Land war ein wichtiger Durchgangspunkt für die Deportationen aus Deutschland in die osteuropäischen Vernichtungslager. 70.000 lettische Jüdinnen und Juden wurden ermordet. Diese Verbrechen wurden möglich durch die Beteiligung der lettischen Legionäre und sicherlich auch die weitgehende Kollaboration der Bevölkerung. Damals wie heute scheint der Hass auf „die Russen“ eine wichtige Rolle gespielt zu haben in einem kleinen Land, dass immer unter „Fremdherrschaft“ gestanden hat. Gleichwohl ist das ja nun kein Grund, Kriegsverbrechen vergessen zu wollen und die Waffen-SS zu ehren.   Soweit mit der lettischen Geschichte vertraut, machten wir uns am Donnerstag, dem 16. März, auf den Weg in die Rigaer Innenstadt. Die wimmelte von Polizisten und zahlreichen Zivilpolizisten. Alle Demonstrationen von einheimischen Antifaschist*innen vor der zentral gelegenen Johanneskirche und entlang der Aufzugsroute waren verboten. Und keiner unserer Freundinnen und Freunde vom antifaschistischen Komitee Lettland hat es gewagt, dem zuwider zu handeln. Wir schon, denn als deutsche Staatsbürger*innen im Schengenraum und in der Europäischen Union genießen wir mehr Bürgerrechte als lettische Staatsbürger*innen, besonders solche mit ethnisch-russischem Hintergrund, die in Lettland den offiziellen Status von Bürger*innen zweiter Klasse haben. So fanden wir uns gegen halb elf Uhr auf dem sonnigen Platz vor der Johanneskirche in der Altstadt ein. Der Platz wimmelte von Journalist*innen in gelben Leuchtwesten. Polizisten standen in allen Nebenstraßen und einige Menschen erwarteten den Auszug der Waffen-SS´ler aus der Kirche mit Blumen. Darunter waren zu meiner Überraschung auch junge Frauen und Menschen, die nicht wie Neonazis aussahen. Manche trugen freilich die alten grünen lettischen Uniformen, jedoch nicht die Uniform der lettischen Waffen-SS. An einem Militärmantel war hingegen ein Nazi-Hakenkreuz deutlich erkennbar. Man imaginiert sich die Kollaboration mit Nazideutschland scheinbar als Freiheitskampf eines unabhängigen Lettlands.

mützen

Spezielle Wollmützen in Riga

An einem kleinen Stand, der scheinbar immer vor der Kirche steht, so auch an diesem Tag, gab es Wollmützen zu kaufen. Es gab verschiedene Muster und auch eine Mütze mit dem rechtwinkligen Nazi-Hakenkreuz. Später habe ich erfahren dürfen, dass das alte lettische Runen seien, die sich die Deutschen angeeignet hätten, und dass das Tragen solcher Mützen keine entsprechende politische Aussage sei. In solchen Momenten hatte ich das Gefühl, dass dieses Land schon sehr weit in die falsche Richtung abgebogen ist.   Aber deshalb waren wir ja gekommen. Kurz vor dem Auszug aus der Kirche überlegten wir noch, wann der Moment gut wäre, unser Transparent auszurollen. Direkt vor der Johanneskirche, inmitten des erwartungsvollen Gewimmels, passierte es dann. Auf dem Transparent war auf Englisch und Lettisch zu lesen: „Eingedenk des Holocaust: Keine Ehrung der Waffen-SS!“ Schnell waren die ersten Journalisten da, noch vor der Polizei, und machten ihre Photos und Filmaufnahmen und umringten schließlich das Transparent und die beiden VVN-BdA´ler*innen. Die gaben Interviews und beantworteten Fragen der Reporter, auch noch während sie schließlich von der Polizei in eine Nebenstraße geleitet worden. Das Abführen vor der Polizei lieferte immerhin auch gute Bilder, und der Geschäftsführer der Berliner VVN-BdA, Markus Tervooren, erklärte lettischen Journalisten, warum er da war und warum der Umzug der Veteranen verkehrt ist. Die Journalisten waren sichtlich erstaunt, dass Gegendemonstrant*innen aus dem Ausland überhaupt vor Ort waren. Wussten sie von einem unausgesprochenen Einreiseverbot? Auch fanden sie es erklärungsbedürftig, dass wir uns in ihre lettischen Angelegenheiten einmischen, als ob sie da ein lokales Volksfest feiern würden.

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Viel Presse vor dem Transparent

Mein Gespräch mit einem Waffen-SS Veteranen verlief ganz anders. Dieser fühlte sich einerseits beleidigt ob der Aussage, dass die lettischen Legionäre für Kriegsverbrechen verantwortlich seien. Zugleich wollte er aber dennoch nicht ganz  verantwortlich sein, und betonte, dass in einem Land unter Besatzung, also der deutschen, er eben zum Militär eingezogen worden wäre. Ich könne mir nicht vorstellen, was das heißt, ein Land unter Besatzung, betonte er. Ich muss sagen, dass der lettische Veteran, im Gegensatz zu den deutlich jüngeren Neonazis, einen zivilisierten und geradezu taktvollen Eindruck auf mich gemacht hat. Ich rief mir in Erinnerung, dass Hannah Ahrendt auch Adolf Eichmann derart beschrieben hat und mancher deutsche Kriegsverbrecher und selbst KZ-Wärter abends nach der Mordarbeit Schumann gespielt und Kleist gelesen hat. Gut möglich, dass dieser Lette an gar keinem Kriegsverbrechen beteiligt gewesen ist. Ich kann es nicht wissen und nicht nachprüfen. Aber durch sein Mitläufertum, besonders wenn er einer der Veteranen mit weißer Weste sein sollte, hat er geholfen, die wirklichen Mörder und Verbrecher zu entlasten. Das müsste er nicht tun, und wenn er mit 17 Jahren zur Waffen-SS eingezogen worden ist, hätte er sich immer noch später davon lossagen können und könnte es selbst heute noch.   An diesem Donnerstag war ich auf jeden Fall froh, als wir uns beim Kaffee aufwärmten und den Tag gut überstanden hatten. Wir spazierten noch durch die Stadt und sonnten uns ein letztes Mal im kalten Norden Europas. Ich war froh, mit meinem deutschen Reisepass bald wieder abreisen zu können und konnte mir nun endlich entspannt noch einmal Riga anschauen, das sicherlich sehr reizvoll sein könnte.

 

Film über den Protest in Riga

Internationale Proteste gegen die Ehrung der Waffen-SS in Riga

geschrieben von Thomas Willms

15. März 2017

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Am 15. März demonstrierten vor den lettischen Botschaften in Berlin, Budapest, Rom, Athen und Brüssel Mitglieder und Freunde der Mitgliedsverbände der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) gegen die Ehrung von Angehörigen der Waffen-SS in der lettischen Hauptstadt Riga und die Unterdrückung antifaschistischer Proteste in Lettland.   Dr. Ulrich Schneider, Generalsekretär der FIR, hatte bereits vorab gegenüber der lettischen Botschafterin in Deutschland, Frau Elita Kuzma, schärfsten Protest erhoben. In seinem Schreiben heißt es u.a.:   „Seit über 25 Jahren veranstalten ehemalige SS-Kollaborateure, Angehörige und politische Anhänger einen Marsch und eine Kundgebung am Freiheitsdenkmal zu Ehren der lettischen Einheiten der Waffen-SS. Nachdem dies anfangs eher geduldet wurde, erlebt man in den letzten Jahren eine offene Unterstützung der Behörden. Wir können den regierungsoffiziellen Erklärungen zum Charakter der baltischen Waffen-SS-Einheiten nicht folgen. Zurecht hat der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg – als Gericht der Völker – in seinem Urteil die SS in allen ihren Untergliederungen – und damit auch die baltischen Waffen-SS Einheiten – als verbrecherische Organisation verurteilt.“   Vilmos Hanti, Präsident der FIR, leitete persönlich den Protest vor der lettischen Botschaft in Budapest. Es wurden, wie auch an allen anderen Orten, Fotodokumente gezeigt, die die Morde lettischer Kollaborateure an Jüdinnen und Juden Lettlands zeigen.

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Vilmos Hanti, Präsident der FIR, Protest von MEASZ

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Fotos von Nazi-Verbrechen im lettischen Liepaja

In Athen protestierten 100 Mitglieder von P.E.A.E.A. vor der lettischen Botschaft und überreichten folgende Resolution an den Präsidenten der Republik Lettland: “RESOLUTION FOR THE RALLY OF PEAEA-DSE IN FRONT OF THE LATVIAN EMBASSY IN ATHENS To the President of the Republic of Latvia Mister President, We vehemently protest in the name of the thousands of our members, Resistance fighters of WW2, their descendants and their friends, against the state support and facilitation you give to the Neo-nazis and their descendants who have the impudence to “honor” the Nazi criminals-murderers and the Latvian Waffen-SS with their rally and march in Riga planned for March 16, 2017. Respect for the Memory of tenths of millions victims of the Nazis and their collaborators makes it necessary to ban and to isolate those who “praise and honor” such beasts in human disguise calling them “liberators” in contrast with the real historical facts. It is evident that whoever identifies himself in any way with those scums, identifies himself, too, with their criminal atrocities and as such they will remain in history. We want to denounce the EU which in the Balkan countries and in other member-states as well, tolerates, reinforces and supports governments that endorse such ideas. The Hitler-fascists, the Nazi, the Waffen-SS and their collaborators have been condemned for ever and irrevocably in the consciousness of the Peoples. We demand that you stop in any possible manner the fascist rally and the march of the eulogists of the Nazi and of the Latvian Waffen-SS. Athens, March 15, 2017“ Griechischer Filmbericht von den Protesten

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Protest von P.E.A.E.A. in Athen

In Lissabon protestierte Marília Villaverde Cabral vom Verband URAP mit folgendem Schreiben: „Excelentíssimo Senhor Embaixador da Letónia em Portugal   A U.R.A.P.- União de Resistentes Antifascistas Portugueses, vem, pelo presente meio, demonstrar o mais vivo repúdio pela cerimónia de homenagem às Waffen-SS prevista para 16 de Março em Riga. A marcha em Riga (Ehrenmarsch) é uma provocação sem precedentes para os familiares e vítimas da polícia letã e das unidades das SS. Assim solicitamos que, junto das autoridades do seu país, dê nota do nosso protesto. Pela Direcção da URAP” In Rom führte der Verband A.N.P.I. einen Protest durch. Italienischer Bericht

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Protest von A.N.P.I. in Rom

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Eva Nickel und Dr. Hans Coppi in Berlin

In Berlin sprachen vor 30 Demonstranten der Landesvorsitzende der VVN-BdA Dr. Hans Coppi, der Bundestagsabgeordneter Volker Beck von Bündnis 90/Grüne und Rita Bock, deren Großmutter nach Riga deportiert und dort ermordet wurde. Rede von Volker Beck Rede von Eva Nickel Rede von Monika Löwenberg (London), verlesen durch Hans Coppi

In Deutschland protestierten zusätzlich deutsche Antifaschist*innen vor den lettischen Honorarkonsulaten in Bremen, Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt/Main, München und Künzelsau.

In Bremen demonstrierten bereits am Vormittag 20 Antifaschist*innen aus Bremen und Niedersachsen. Der bremische Landesvorsitzende der VVN-BdA, Raimund Gaebelein, übergab ein Protestschreiben an Herrn Lutz Peper, den lettischen Honorarkonsul, in dem es u.a. heißt: „Da wir davon ausgehen, dass Sie wie wir eine Ehrung von Angehörigen der Waffen-SS egal in welchem Land verurteilen, möchten wir Sie in Ihrer Funktion als Honorarkonsul der Republik Lettland bitten, Ihren Einfluss und Ihre Kontakte in Lettland zu nutzen und sowohl gegen die Ehrung an sich als auch gegen die Behinderung der lettischen Antifaschisten und ihrer Gäste Stellung zu nehmen.“

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Protest der VVN-BdA in Bremen

In München protestierten ebenfalls 20 Antifaschist*innen, darunter Bernd Grube, dessen Onkel und Tante nach Riga deportiert worden waren. Dr. Guido Hoyer, bayrischer Landesgeschäftsführer der VVN-BdA, überreichte ein Protestschreiben an das Sekretariat des Konsulats.

Filmbeitrag über die Kundgebung in München

Tante und Onkel

Bernd Grube vor dem lettischen Honorarkonsulat in München

In Frankfurt/M. eröffnete vor ca. 100 Demonstranten Peter Christian Walther, Landessprecher der VVN-BdA, den Protest mit folgenden Worten: „Wir stehen hier vor dem Konsulat der Republik Lettland und protestieren dagegen, dass in der Hauptstadt von Lettland alljährlich am 16.März, dem „Tag der Legionäre“, Einheiten und Angehörige der lettischen Waffen-SS  mit einem „Ehrenmarsch“ geehrt und als „Freiheitshelden“ gefeiert werden. Wir stehen hier als deutsche und europäische Demokraten und Antifaschisten, weil wir eine solche Verherrlichung der SS und der damit verbundenen Leugnung ihrer Verbrechen nicht dulden. Den Aufruf zu diesem Protest haben über 125 Frankfurter Bürgerinnen und Bürger, darunter mehrere Mandatsträgerinnen und Mandatsträger sowie Vorsitzende von Frankfurter Gewerkschaften, Parteien und Organisationen unterzeichnet. Auch in ihrem Namen stehen wir hier. Wir stehen hier, weil die Regierung und die Behörden von Lettland den Aufmarsch der Veteranen und Anhänger der lettischen SS zwar dulden und akzeptieren, vor einigen Jahren sogar noch unterstützt haben, aber deutsche und europäische Antifaschisten daran hindern, an Ort und Stelle in Riga zu protestieren, um lettische Antifaschisten bei ihrem Protest zu unterstützen. So wurden im vergangenen Jahr deutsche Antifaschisten an der Einreise gehindert bzw. festgenommen und ausgewiesen. Deshalb stehen wir jetzt hier zum Protest vor den Vertretungen der Republik Lettland. Das geschieht heute auch in anderen Städten der Bundesrepublik und Europas. Die lettischen Sonderkommandos und Polizei-Einheiten, die zum Kern der lettischen Waffen-SS-Divisionen gehören, haben über 70.000 Juden,  Frauen, Männer und Kinder, ermordet. Wir stehen hier zum Protest, weil wir das den  Opfern dieser Verbrechen schuldig sind. Zu ihnen gehören auch die 992  Frankfurter Juden, die am 22.November 1941 von Frankfurt nach Riga deportiert und dort umgebracht wurden. In Europa darf es keine Ehrung der Waffen-SS und, damit verbunden, deren Verbrechen geben. Mit der „Ehrung“ von SS-Einheiten und deren Angehörigen wird faschistischer Ideologie und faschistischen Praktiken der Weg geebnet. Das dürfen und das werden wir in  Europa nicht dulden.“ Im weiteren sprachen Jürgen G. Richter, Vorsitzender des Landesausschusses der Jüdischen Gemeinde in Hessen und Ulli Nissen, Frankfurter Bundestagsabgeordnete der SPD, der Frankfurter DGB-Vorsitzende Philipp Jacks, die stellv. Landtagsfraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Martina Feldmayer, und die Landtagsabgeordnete der LINKEN, Gabi Faulhaber.

Peter Christian Walther VVN BDA  Lettland VVN Frankfurt Main 15_03_2017 hokopa 5

VVN-BdA-Landessprecher Peter Christian Walther (am Mikrofon), neben ihm (von rechts nach links): der Vorsitzende des Landesausschusses der Jüdischen Gemeinden in Hessen, Dr. Jürgen Richter; der Frankfurter DGB-Vorsitzende, Philipp Jacks; die Frankfurter Bundestagsabgeordnete der SPD, Ulli Nissen; die hessische Landtagsabgeordnete der LINKEN, Gabi Faulhaber; die Vizevorsitzende der hessischen GRÜNEN-Landtagsfraktion, Martina Feldmayer


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Protest in Düsseldorf

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Düsseldorfer Kontraste

In Düsseldorf protestierten 20 Antifaschist*innen vor dem Honorarkonsulat, aus dem es keinerlei Regung gab.

 

Vor dem lettischen Honorarkonsulat in Hamburg sprach Cornelia Kerth, Bundesvorsitzende der VVN-BdA, und informierte zahlreiche Passanten über die skandalösen Vorgänge in Riga. Am 16. schließlich protestierte eine Gruppe der VVN-BdA vor dem Honorarkonsulat in Künzelsau (Baden-Württemberg).

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Protest in Hamburg

 

Festveranstaltung „70 Jahre VVN“

geschrieben von Thomas Willms

7. März 2017

Vom 15. bis 17. März 1947 tagte die „1. Interzonale Länderkonferenz der VVN“ in Frankfurt am Main und die dort versammelten Vertreter_innen  von 250.000 Überlebenden des faschistischen Terrors – so heißt es im Konferenzprotokoll – beschlossen die Bildung eines Gesamtdeutschen Rates. Die folgenden Jahre verliefen bekanntermaßen ausgesprochen turbulent: Kalter Krieg mit der Bildung zweier Staaten, Restauration, Remilitarisierung und zeitweise Verbot, bzw. Verbotsverfahren in der BRD, Auflösung der VVN in der DDR. Nach der „Wende“ dauerte es 12 Jahre bis sich die ehemaligen Ost- und Westverbände zur heutigen bundesweiten Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes/ Bund der Antifaschisten zusammenschlossen. Mit rund 6.000 Mitgliedern ist die VVN-BdA heute die größte Generationen und Spektren übergreifende antifaschistische Organisation in der Bundesrepublik Deutschland und arbeitet im Bündnis mit unterschiedlichen Partnerorganisationen gegen das Vergessen, gegen neofaschistische Umtriebe und neue Rechte noch immer für die neue Welt des Friedens und der Freiheit, der sich die befreiten Häftlinge von Buchenwald im April 1945 verpflichtet haben. Mit einer Festveranstaltung am Vorabend unseres Bundeskongresses wollen wir den 70. Geburtstag der VVN feiern; wir blicken zurück und stellen uns den aktuellen Herausforderungen.

Festveranstaltung 001

Mitglieder und Freunde der VVN-BdA sind herzlich eingeladen, an der Festveranstaltung aus Anlass von 70 Jahren VVN teilzunehmen.

Programm

  • Eröffnung durch die Bundesvorsitzende der VVN-BdA, Cornelia Kerth
  • Grußreden von Beate Klarsfeld (Paris) und vom Präsidenten der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR), Vilmos Hanti (Budapest)
  • Grußwort von Peter Feldmann, Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt/Main
  • Es musizieren die Roma und Sinti-Philharmoniker
  • Stephan Körzell (DGB Bundesvorstand) hält eine Laudation auf die 70-jährige VVN
  • Es singt der Frankfurter DGB-Chor
  • Dr. Ulrich Schneider (Bundessprecher der VVN-BdA): Historischer Rückblick auf die 70 Jahre der VVN
  • Es tritt auf der Berliner Reggae- und Hiphop-Künstler Filou
  • Ein Talk über Gegenwart und Zukunft der VVN-BdA, geführt von vier VVN-BdA-Mitglieder aus zwei Generationen.

Flyer „70 Jahre VVN“

Programm des Bundeskongresses

geschrieben von Thomas Willms

7. März 2017

Am 31. März 19.30 Uhr beginnt der 6. Bundeskongress der VVN-BdA im Haus Gallus in Frankfurt/Main mit einer öffentlichen Festveranstaltung „70 Jahre VVN“.  Delegierte und Gäste des Bundeskongresses, die bereits am Nachmittag anreisen, sind eingeladen den “Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945″ in der Rossertstr. 9 zu besuchen (um Anmeldung beim Studienkreis wird gebeten). Am 1. April beginnt der eigentliche Kongress um 9.30 Uhr (Anmeldung ab 8.00 Uhr) und endet am Sonntag um 13.00 Uhr. Auf dem Bundeskongress wird auch erstmalig die neue Ausstellung „Der Arm der Bewegung – Die „Alternative für Deutschland““ vorgestellt.

Die wichtigsten Unterlagen zum Kongress können hier heruntergeladen werden:

Anfahrtsbeschreibung: Anfahrt-Gallus

Festveranstaltung „70 Jahre VVN“

Tagesordnung und Zeitplan: Zeitplan Buko

Rechenschaftsbericht: Rechenschaftsbericht 2017

Antragsmappe: Alle Anträge Bundeskongress 2017

 

Keine Ehrung der lettischen Waffen-SS / Internationale Protestkundgebungen

geschrieben von Thomas Willms

17. Februar 2017

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Am 16. März wird es in der lettischen Hauptstadt Riga – wie jedes Jahr seit 1991 – zu einem Gottesdienst, einem Ehrenmarsch und einer fahnengesäumten Kundgebung am Freiheitsdenkmal zu Ehren der lettischen Einheiten der Waffen-SS kommen.

Alte-Kameraden

Alt Kameraden, Foto: r-mediabase

Lettland gehört mit Estland, Litauen, der Ukraine und Bulgarien zu den osteuropäischen Staaten in denen Einheiten der Waffen-SS und andere mit den Nazis kollaborierende antisemitische Todesschwadronen als nationale Idole gefeiert werden. Dies geschieht mit staatlicher Duldung und teilweise offener Unterstützung durch Behörden.   Der Rigaer „Ehrenmarsch“ ist eine unerhörte Provokation für die Angehörigen der Opfer der lettischen Polizei und SS-Verbände und für die jüdische, russischsprachige und andere Minderheiten im Land. Er steht nicht nur im Gegensatz zu den Grundwerten der Europäischen Union, deren sonstige Vorzüge der lettische Staat andererseits gerne entgegennimmt, sondern ist auch eine Provokation gegenüber der Russischen Föderation und damit eine Gefahr für den Frieden in Europa.   In Lettland werden antifaschistische Demonstrant*innen erheblichen Repressalien (Telefonüberwachung, Reisebeschränkungen, Behördenschikanen, Polizeiwillkür, staatliche Einflussnahme auf Hotels und Veranstaltungsunternehmen) ausgesetzt. Dies gilt auch für Unterstützer*innen, die aus Deutschland und anderen Ländern anreisen.

Fahnenspalier-im-Schneetreiben

Fahnenspalier-im-Schneetreiben, Foto: r-mediabase

Umso wichtiger ist es, auch 2017 Solidarität mit den lettischen Antifaschist*innen  zu zeigen. Die VVN-BdA und die Mitgliedsverbände der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) rufen dazu auf, nach Riga zu reisen und am 16. März an der antifaschistischen Kundgebung teilzunehmen.   Gleichzeitig rufen sie dazu auf am 15. März

  • in Rom, Brüssel, Budapest und Athen

vor lettischen Botschaften und Konsulaten in Europa gegen die Verherrlichung von NS-Kollaborateuren und Massenmördern zu protestieren und Freiheit für Lettlands Antifaschist*innen zu fordern.   Die VVN-BdA ruft auf zu Mahnwachen vor der lettischen Botschaft und den Honorarkonsulaten in

  • Berlin, Bremen, Hamburg, Frankfurt, München, Künzelsau und Düsseldorf.

Wir fordern:

  • Schluss mit der Ehrung von NS-Kollaborateuren und Mördern!
  • Anerkennen der baltischen Beteiligung am nazistischen Völkermord!
  • Freiheit für „Lettland ohne Nazismus“!
  • Wir rufen für den 15. März auf zu Protestkundgebungen vor der lettischen Botschaft und lettischen Konsulaten!

    (Informationen zur Anreise nach Riga über: bundesbuero@vvn-bda.de oder 030-5557-9083-2)

Versagt vor der Geschichte – Zum NPD-Verbotsurteil

geschrieben von Cornelia Kerth

17. Januar 2017

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An allen Gedenktagen an die Opfer des NS-Regimes, so sicher auch am bevorstehenden 27. Januar, werden von den politisch Verantwortlichen in Deutschland Reden gehalten in denen man die Verbrechen des deutschen Faschismus benennt und ein „Nie wieder!“ verspricht.   Aber wenn es darauf ankommt, die Konsequenzen aus den Millionen Opfern dieses verbrecherischen Regimes zu ziehen und zwar die allereinfachste und naheliegendste, nämlich dass die dafür verantwortlichen politischen Kräfte nie Gelegenheit erhalten dürfen einen erneuten Anlauf zur Errichtung eines ähnlichen menschenfeindlichen Regimes zu errichten, wird versagt.

 

Es wird aber nicht einfach aus Unvermögen, sondern, wenn man das Anti-Verbots- Trommelfeuer der letzten Monate in Politik und Medien betrachtet, es wird vorsätzlich versagt. Eine neo-nationalsozialistische Partei soll es in Deutschland geben dürfen, das ist die Quintessenz all dieser Aktivitäten.

 

Zu den historischen Verbrechen des deutschen Faschismus kommen noch hinzu die knapp 200 Toten seit 1990 und die rassistischen Mobilisierungen der letzten zwei Jahre bei denen die NPD eine wesentliche Rolle gespielt hat. Sie hat Strukturen, Ideologie und hasserfüllte Parolen zur Verfügung gestellt, was sogar noch aus Steuermitteln finanziert wird. Das macht deutlich, dass von der NPD Gefahr ausgeht unabhängig davon, ob sie in Parlamenten sitzt oder nicht.   Außerdem wurde vorsätzlich darauf verzichtet, dem völkischen Nationalismus wie er auch durch die AfD vertreten wird, einen Riegel vorzuschieben.

 

Dazu sagen wir Nein: Faschismus gehört verboten, weil er keine Meinung ist, sondern ein Verbrechen. Die NPD hat, ebenso wie andere faschistische Gruppierungen keinen Anspruch auf Legalität.   An dieser Lehre der Geschichte halten wir fest.

 

Cornelia Kerth Bundesvorsitzende   Karlsruhe, 17.01.17

Persönliche Erklärung vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden

geschrieben von Silvia Gingold

12. Januar 2017

Es ist jetzt mehr als 40 Jahre her, da ich schon einmal vor Gericht mein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung einklagen musste. 1975 war ich aus dem Schuldienst entlassen worden auf der Grundlage von „Erkenntnissen“ des Landesamtes für Verfassungsschutz Hessen, die dieses Amt seit meinem 17.Lebensjahr über mich gesammelt hatte. Es waren Aktivitäten wie z.B. die Teilnahme an Demonstrationen gegen den Krieg in Vietnam oder mein Eintreten für gleiche Bildungschancen, die als Beleg für angeblich „verfassungsfeindliche“ Aktivitäten galten.

 

Dass ich heute – inzwischen  Rentnerin – immer noch oder wieder unter Beobachtung des „VS“ stehe und zwar ausschließlich wegen meiner antifaschistischen und friedenspolitischen Aktivitäten empfinde ich als Skandal. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, die  Verfolgungen durch die Nazis ausgesetzt war. Nach Deutschland aus der Emigration zurückgekehrt, war meine Familie ab 1956 erneut Repressalien ausgesetzt: Hausdurchsuchung am Tag des KPD-Verbots, Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit,  Bespitzelungen durch den „Verfassungsschutz“, – erst meine Eltern, dann auch ich –  Berufsverbot.

 

Schon vor 40 Jahren erklärte ich vor Gericht und tue es heute wieder: Meine Einstellung zur Hessischen Landesverfassung und zum Grundgesetz ist im Wesentlichen geprägt worden durch die Erfahrungen meiner Eltern. Sie haben sich im Kampf gegen den Faschismus für jene demokratischen Grundrechte eingesetzt, die im Grundgesetz und in der hessischen Verfassung ihren Niederschlag gefunden haben. Ihr leidenschaftlicher Kampfum diese Grundrechte ist die Schlussfolgerung aus den Erfahrungen mit dem ungeheuerlichen Menschheitsverbrechen des faschistischen Regimes auch an meiner Familie. Ein Teil meiner Familie wurde in den Gaskammern von Auschwitz ermordet. Meine Schwester, damals 2 jährig musste, um vor diesem drohenden Schicksal geschützt zu werden, bis zum Kriegsende versteckt und von meinen Eltern getrennt leben.

 

Mein Vater wurde von den Nazis verhaftet, schwer gefoltert und ist nur durch seine Flucht dem Tod entgangen. Können Sie sich unter diesem Hintergrund vorstellen, wie es sich für mich anfühlt, wenn ich heute wegen Lesungen aus der Biographie meines Vaters, wegen meines Einsatzes gegen Neonazis, gegen Ausländerhass und Rassismus, gegen Militarisierung, Waffenexporten und Kriegseinsätzen der Bundeswehr bespitzelt und als verfassungsfeindlich kriminalisiert werde?   Das Landesamt für Verfassungsschutz wirft mir vor: „Dabei setzt sie den aus ihrer Familiengeschichte resultierenden extremen öffentlichen Bekanntheitsgrad bei ihrer Zusammenarbeit mit extremistischen Gruppen ‚medien- und werbewirksam ein’“ Zu dieser – wie ich finde respektlosen und herabwürdigenden Einstellung gegenüber meinen Eltern –  sage ich: Ja, diese Erfahrungen meiner Eltern setze ich dafür ein, dass sich das, was sie erleben mussten, nie wiederholt. Schließlich waren es in erster Linie die Verfolgten, Zeugen der Naziverbrechen, die Gefolterten in den Konzentrationslagern, die Widerstandskämpfer, die dafür gesorgt haben, dass die Nazivergangenheit nicht in Vergessenheit geraten ist. Sie haben verhindert, dass ein Schlussstrich unter die Vergangenheit gezogen wurde, wie es viele nach 1945 am liebsten gehabt hätten. Mein politisches Engagement gilt diesem  Ansinnen der Zeitzeugen.

 

Besonders skandalös empfinde ich es, wenn der „Verfassungsschutz“ als Rechtfertigung für seine Beobachtung meine Aktivitäten für die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes- Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) heranzieht. Es wird behauptet: „Bezüglich dieser Organisation liegen tatsächliche Anhaltspunkte für linksextremistische Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor.“ Mein Vater gehörte mit anderen Überlebenden der Konzentrationslager und des Widerstands in Hessen zu den Gründungsmitgliedern dieser antifaschistischen Organisation, deren Ziel es war und immer noch ist, die Erinnerungen an die Verbrechen der Nazis und den Widerstand gegen dieses Regime zu bewahren und die Wachsamkeit zu schärfen gegen alle Erscheinungen des Nationalismus, des Rassismus, des Antisemitismus und Militarismus. Zu den Grundaussagen der Organisation gehört der „Schwur von Buchenwald“ – gesprochen von den Überlebenden KZ-Häftlingen im April 1945. Selbst der US-Präsident Barack Obama würdigte bei seinem Besuch in der KZ-Gedenkstätte dieses Vermächtnis. Diesen Schwur von Buchenwald missbraucht das Landesamt für Verfassungsschutz als Beleg für  linksextremistische Bestrebungen der VVN.

 

In der Begründung des VS für die Nichtvorlage oder Schwärzungen von Akten heißt es u.a.: „Zudem handelt es sich um hochsensibles Aufkommen, da die Informationen aus persönlichen Gesprächen gewonnen wurden.“ Und an anderer Stelle: „Die in den Akten dokumentierten, hier nicht vorgelegten Erkenntnisse stammen aus nachrichtendienstlichen Erkenntnisquellen, die durch sachkundige Mitarbeiter des LfV überprüft und bewertet worden sind… Ihr Offenlegen im gegenständlichen Verwaltungsstreitverfahren würde Rückschlüsse auf die Art der Erkenntnisquellen zulassen, die zu Gefahren für Leib und Leben von Personen führen könnten…“ Können Sie sich vorstellen, wie es sich für mich anfühlt, wenn sich die Beobachtung meiner Person nicht nur auf öffentlich zugängliche Quellen stützt, sondern die Bespitzelung auch in persönlichen Gesprächen meines  Umfelds bis hin zum Ausspähen meiner e-mail- Korrespondenzen stattfindet, wie dies ebenfalls in der Sperrerklärung eingeräumt wird? Und wie es sich für mich anfühlt, wenn der Eindruck erweckt wird, es handle sich bei mir um eine gefährliche Person, die gar eine reale Bedrohung für Mitarbeitende des VS darstellt? Angesichts der tatsächlichen terroristischen Bedrohung  durch fremdenfeindliche und rassistische Gewalttaten, NSU-Morde oder Anschläge, wie auf den Weihnachtsmarkt in Berlin empört mich eine solche Unterstellung und macht mich fassungslos.

 

Ich erhoffe mir von diesem Verfahren, dass das Gericht die Rechtswidrigkeit der Beobachtung und Bespitzelung meiner Person durch den „Verfassungsschutz“ feststellt und die Löschung aller über mich gesammelten Daten anordnet. Ich erwarte dass Sie meinem durch die Verfassung geschützten Recht auf Meinungsfreiheit Geltung verschaffen.

Aus Fremden müssen Nachbarn werden – Wir trauern um Zygmunt Bauman

geschrieben von Hans Coppi und Kamil Majchrzak

11. Januar 2017

    Anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus besuchte am 6. Mai 2015 der polnische Soziologe und Widerstandskämpfer zusammen mit der Soziologin Aleksandra Jasińska-Kania die Berliner VVN-BdA. Gemeinsam mit einer Gruppe junger polnischer und deutscher Antifaschistinnen und Antifaschisten tauschten wir uns über die Notwendigkeit der Bewahrung der Erinnerung an die Shoah und die Bewahrung der Werte des antifaschistischen Widerstandes aus. Zygmunt Bauman war einer der weltweit anerkanntesten Soziologen.

Foto: Andreas Domma

Foto: Andreas Domma

1939 bei Kriegsausbruch floh der 14-Jährige aus Poznań in die UdSSR. 1944 trat er der in der Sowjetunion formierten 1. Polnischen Armee unter General Zygmunt Berling bei, die aus Sibirien-Deportierten und Flüchtlingen bestand. Er kämpfte u. a. am Pommernwall, wo er mit der Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet wurde. Trotz Verwundung bei Kolberg meldete er sich zum 1. Mai freiwillig zum Sturm auf Berlin. Nach dem Krieg wurde seine 4. Jan-Kiliński-Division in den Korps der Inneren Sicherheit (KBW) überführt, wo er als Major diente. Während der antisemitischen Säuberungen im Zuge des sogenannten Slánský-Prozesses wurde er aus dem Sicherheitsapparat entlassen und begann ein Soziologie-Studium. Baumans soziologische Auseinandersetzung mit dem Holocaust begann relativ spät. Große Bedeutung hatten die Erlebnisse seiner damaligen Ehefrau Janina Bauman, die das Ghetto überlebte. Während ihr Vater als Reserve-Offizier in Katyń ermordet wurde, scheiterten aufgrund ihrer jüdischen Herkunftihre Bemühungen, während des Warschauer Aufstandes in die Armia Krajowa (Heimatarmee) aufgenommen zu werden.

 

Als Janina 1986 in London ihre Aufzeichnungen „Winter in the Morning“ [„Als Mädchen im Warschauer Ghetto“] veröffentlichte, strich sie aus dem Buch mehrere Passagen, die den Antisemitismus in Polen betrafen, u. a. die Schilderung ihrer Rückkehr nach Warschau nach mehreren Jahren im Versteck. Auf der Überfahrt wurde sie mit den Worten begrüßt: „Unglaublich! Sie sind noch immer da. Diesen deutschen Pfuschern gelang es doch nicht, alle zu vergasen!“ Diese Erinnerungen und das Bewusstsein, dass in Polen nach der Befreiung mehr als 2000 überlebende Jüdinnen und Juden ermordet wurden, finden sich auch in Baumans Studie „Dialektik der Ordnung“ wieder: „Was zum Vorschein kam, geht nicht nur die Urheber, die Opfer und die Zeugen des Verbrechens etwas an, sondern ist von größter Bedeutung für alle, die heute leben und auch in Zukunft leben wollen.“ Bauman unterstrich, dass der Völkermord keine Unterbrechung im Lebenslauf der Rechtsstaatlichkeit darstellte, sondern der planmäßige Mord an den europäischen Juden im Namen des Rechts und Ordnung geschah.

 

Er kritisierte den in der osteuropäischen Geschichtspolitik populären Begriff der „Wahrheit“: „Das ist gefährlich, denn selektive Erinnerungen werden als Wahrheit und einzige Wahrheit ausgegeben.“ Ironisch fügte er hinzu: „Eure Arbeit als soldiers of history ist deshalb wichtig. Ihr versucht, Widerstand und Verfolgung gegen das Nazi-Regime vor dem Vergessen zu bewahren. Denn Geschichte ist heute keine Kultur des Lernens mehr, sondern eine des Vergessens.“ Bauman hob hervor, dass er erst spät entdeckte, „[D]ass die Ursprünge des Faschismus in unserer universellen Art zu denken liegen: dem Projekt der Moderne. Eines der gefährlichsten Elemente der Nazi-Ideologie ist die Idee vom ‚unwerten Leben‘. Dieses wurde nicht nur auf Nationen bezogen, nicht nur Juden oder Homosexuelle. Es wurde auch gegenüber ‚reinen‘ Deutschen angewendet, die auf die eine oder andere Weise als defekt erklärt wurden.“ Und er mahnte: „Vergesst nicht, dass ihr mit einem Feind kämpft, der weitaus stärker ist als Faschisten-Gruppen. Es sind nicht nur die Neonazis! Ihre wesentliche Stütze ist weit breiter als sie selbst. Sie nähren sich von unserer Kultur, und unsere Kultur ist in vielerlei Hinsicht sehr unangenehm falsch. Wenn ihr wirklich dieses immer wiederkehrende Phänomen mit seinen Wurzeln vernichten wollt und die Auferstehung der extremen Rechten mit dessen Konzept des ‚unwerten Lebens‘ verhindern wollt, dann müsst ihr auch etwas gegen die Art, wie wir leben, unternehmen. Ihr dürft es nicht als isoliertes Phänomen betrachten, es hat weitreichendere Verästelungen.”

 

Zu der „Flüchtlingskrise“ befragt, äußerte sich Zygmunt Bauman in einem bemerkenswerten Interview im „Spiegel“ 36/2016: „Angst, Hass, Ressentiment und Ausgrenzung setzen eine sich selbst erfüllende Prophezeiung in Gang. Inklusion und Integration sind die stärksten Waffen des Westens. Es gibt keinen anderen Ausweg aus der Krise, in der die Menschheit sich befindet, als Solidarität. Die Entfremdung, die Barriere zwischen uns und den Fremden, den Etablierten und den Außenseitern, muss überwunden werden. Der erste Schritt dazu ist die Aufnahme eines Dialogs. Aus Fremden müssen Nachbarn werden.“

nonpd – NPD-Verbot muss kommen!

geschrieben von Dr. Ulrich Schneider, Bundessprecher der VVN-BdA

20. Dezember 2016

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    Für den 17. Januar 2017 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) das Urteil für das vom Bundesrat beantragte Verbot der neofaschistischen NPD angekündigt. Als die Bundesländer erneut den Verbotsantrag stellten, nachdem das erste Verfahren wegen formaler Fehler abgewiesen wurde, hatten sie mit vielen guten Gründen auf den verfassungswidrigen Charakter von Programmatik und Praxis der NPD hinweisen können. Auch wenn sich die Bundesregierung und der Bundestag dem Verfahren formell nicht anschlossen, gab es keinen Zweifel, dass diese Partei nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Seit einigen Tagen geistern nun Spekulationen durch die Medien über ein mögliches Urteil, die uns als antifaschistische Organisation alarmieren müssen. „Juristische Experten“ spekulieren angesichts der unterschiedlichen politischen Präsenz der NPD ganz offen über ein regionales Teilverbot der Partei. Sie leiten das aus der inhaltlichen Tendenz der mündlichen Beweisaufnahme ab. Dabei kennt das deutsche Parteiengesetz eine solche Möglichkeit überhaupt nicht. Andere begründen bereits ein negatives Urteil damit, dass europäisches Recht ein Parteienverbot nicht kenne, wobei die NPD doch für sich das deutsche Parteienprivileg in Anspruch nimmt. 05 Die VVN-BdA, die 2007 die Kampagne „nonpd“ initiiert hat, bei der sich über 175.000 Menschen ein NPD-Verbot eingesetzt haben, ist in Sorge, dass mit diesen medialen Spekulationen ein negatives Urteil des BVerfG publizistisch vorbereitet werden soll.   Wir sagen dazu in aller Klarheit:

  • Wer die antifaschistischen und demokratischen Wurzeln des Grundgesetzes ernst nimmt, kann nur ein Verbot der neofaschistischen NPD aussprechen.
  • Wer der NPD bescheinigt, sie sei Teil des „demokratischen Parteienspektrums“, der legitimiert damit deren Ideologie des Rassismus, Antisemitismus und der gesellschaftlichen Ausgrenzung von Minderheiten.
  • Wer die NPD legitimiert, der akzeptiert damit auch die zunehmenden gewalttätigen Ausschreitungen gegen Flüchtlinge und Menschen mit Migrationshintergrund, wie wir sie verstärkt in den vergangenen Monaten erleben mussten.

Wir erwarten daher vom Bundesverfassungsgericht ein klares Signal gegen die NPD, das dem Grundgesetz – insbesondere Artikel 1 „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – Rechnung trägt.

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