Militarisierung der Außenpolitik, Demokratieabbau und gesellschaftliche Entwicklung nach rechts
1. April 2011
In Ostermarschaufrufen wie dem von Rhein/Ruhr 2011 heißt es: „Hiroshima hat die schreckliche Wirkung von Atomwaffen gezeigt, Tschernobyl die tödlichen Gefahren der atomaren Energieerzeugung.“ Wir stehen im Bann der atomaren Katastrophe von Fukushima. Wir konnten nicht ahnen, dass unsere diesjährige Losung des Ostermarsches „Atomkraftwerke sofort abschalten“ so grausame Aktualität bekommen würde.
Und unser Blick ist nach Nordafrika, Libyen gerichtet. Wir fordern Frieden für dieses Land, wir fordern schnellen Waffenstillstand. Wir erklärten wenige Stunden nach Beginn der Bombardements: „Durch militärische Einmischung von NATO-Staaten in Libyen wurde jetzt die Situation verschärft, ja sogar ein internationaler Krieg angezettelt. Das findet unseren entschiedenen Widerspruch. Dieser Krieg ist kein Krieg für Menschenrechte. Deutschland sollte sich auf die Verpflichtung besinnen, sich jeder Kriegshandlung zu enthalten. Die Stimmenthaltung Deutschlands im UN- Weltsicherheitsrat über die Frage des Kriegseinsatzes gegen Libyen könnte ein Anfang zur Umkehr sein.“
Was Tschernobyl für die Krise und das Scheitern des realen Sozialismus in Europa bedeutete, das wird man dereinst mit dem Namen Fukushima hinsichtlich der Krise des Kapitalismus verbinden.
Es wird mir jedoch zu oft auf den möglichen Krieg gegen den Terror vor dem Hintergrund des „Terrors gegen Kernkraftwerke“ und auf entsprechende militärische Abwehrmaßnehmen verwiesen, um zu glauben, dass sich das Militär dann so verhält wie jene NVA in der DDR. Dazu steht die Bundeswehr zu sehr in der Tradition der kaiserlichen Armee, der Reichswehr und der Wehrmacht. Sie steht in der Tradition der Unterdrücker des demokratischen Willens der Menschen wie auch der Tradition der Kolonialkrieger, denn um Kolonialkriege, um Öl, Märkte, Ressourcen und Handelswege handelt es sich derzeit. Diese Tradition wird nicht nur durch Veteranen vertreten, sondern durch mindestens 1 Million Reservisten, denen im Rahmen der Bundeswehrreform große Bedeutung zukommt.
Ich geriet im Herbst 1991 in eine interne Tagung von Industriellen, Militärs und Politikern in der Fliegerschule Fürstenfeldbruck. Es wurde beraten, wie das vereinte Deutschland wieder ein kriegführendes Deutschland werden kann. Die Militarisierungspläne der Generalität aus jener Zeit sind heute Wirklichkeit. Alle ihre Forderungen – wie neue NATO und militarisierte EU, deutsche Auslandseinsätze ohne Änderung des Grundgesetzes, Kampfeinsätze der Bundeswehr, westliche „Werteverteidigung“, Umrüstung ohne Abrüstung, mehr Waffenbereitschaft der Bürger und ein neues Geschichtsbild „ohne die Betonung der Jahre 1933-1945” – sie alle wurden wahr. Nur mit der Einführung einer allgemeinen militärischen und sozialen Dienstpflicht für alle Frauen und Männer, wie auf jener Tagung der Bayerischen Wirtschaft von Offizieren und Managern gefordert, haperte es noch. Doch darauf wird wohl letztlich die Bundeswehrreform hinauslaufen.
Im Juli 2005 erklärte die damalige Kanzlerkandidatin Merkel: »Wir müssen durch eine Grundgesetzänderung endlich den Weg frei machen für den Einsatz der Bundeswehr im Innern zur Terrorabwehr«, (Passauer Neuen Presse). Das Gewaltkonzept des „Krieges gegen den Terror“ und die damit zusammenhängenden Militärkonzepte richten sich keineswegs nur gegen auswärtige Feinde. In Deutschland wird jetzt das Konzept aus den USA angewendet. Nach dem Homeland Security Council der USA fallen unter die Kategorien des ‚inneren Verschwörers‘ folgende: „Ausländische islamische Terroristen“, „einheimische radikale Gruppen“, von „Schurkenstaaten und instabilen Ländern unterstützte Gegner“, „unzufriedene Arbeitnehmer“. Der autoritäre militärorientierte Staat ist die Kehrseite der neoliberalen globalen Unterdrückung.
Vor welchem Hintergrund werden diese Strukturen geschaffen? Auch Rolf Gössner, der Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, spricht von einer Militarisierung der Inneren Sicherheit, in deren Mittelpunkt der Bundeswehreinsatz im Inneren steht. Wir erleben eine zunehmende Vernetzung und Verzahnung von Polizei und Geheimdiensten sowie Militär. Eine parlamentarische Kontrolle findet nicht statt. So werden elementare Lehren aus der deutschen Geschichte entsorgt – mit der Folge einer gefährlichen Machtkonzentration der Sicherheitsorgane. Der Sicherheitsstaat wird in dem Maße aufgerüstet, in dem der Sozialstaat abgewickelt wird. Arbeitnehmer, Gewerkschafter, aber auch Journalisten und viele andere Bürgerinnen und Bürger werden zunehmend bespitzelt und überwacht.
Vielfältig sind die Instrumente gegen die Demokratie, Da ist vor allem die diktatorische Anwendung der modernen elektronischen Möglichkeiten, um Bürgerrecht abzubauen. Der Gewerkschaftsvorsitzende Frank Bsirske (Verdi) sagte: „Mit dem Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnik ist der Kontrollwahn ausgebrochen – in Staat, Wirtschaft und Arbeitswelt.“ Elektronische Gesundheitskarte, zentrale Speicherung von Telekommunikations- und Arbeitnehmerdaten, Vorratsdatenspeicherung, unkontrollierbare europäische Datensammlungen – das sind nur einige der Elemente einer unheilvollen Entwicklung hin zu immer mehr staatlicher Überwachung. Rolf Gössner brachte es auf den Punkt: „Ein ausufernder Antiterrorkampf bescherte uns eine dramatische Einschränkung der Freiheitsrechte. Eine wahre Flut sogenannter Antiterrorgesetze haben die Kontrolldichte in Staat und Gesellschaft beträchtlich erhöht – angeblich im Namen der Sicherheit, doch mit Sicherheit auf Kosten der Freiheit.“
Der Überwachungsstaat wird von großen Teilen der Bevölkerung nicht als solcher erkannt und nicht in Frage gestellt. Der neue Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) stieß sicherlich nicht auf Ablehnung bei der Sarrazin-Fan-Gemeinde, als er die Muslime im Lande aufforderte, sich als Fremde zu fühlen und erst einmal im eigenen Lager die möglichen Terroristen auszuspähen und anzugeben. „Sicherheitspartnerschaft“ nennt er das.
Bis in die sogenannte Mitte der Gesellschaft hinein besteht ein breites Potential für eine rechtspopulistisch-rassistische Sammlungsbewegung. Das hat im vergangenen Jahr nicht zuletzt die Debatte um Thilo Sarrazins rassistische Thesen gezeigt. 1,2 Millionen Mal verkaufte sich bisher die pseudowissenschaftlich verbrämte Hetzschrift »Deutschland schafft sich ab« des Exbundesbankers und Hobbygenetikers Sarrazin. Die Sarrazin-Debatte war kein Ausrutscher. Die Zustimmung zu ausländerfeindlichen Einstellungen ist bundesweit seit Beginn der Wirtschafts- und Finanzkrise dramatisch gestiegen. Das zeigt eine aktuelle Studie »Die Mitte in der Krise« der Friedrich Ebert Stiftung.
Ich habe von der Militarisierung gesprochen. Die setzt sich auch mit der sogenannten Bundeswehrreform fort. Am 24. März wurde vom Deutschen Bundestag auf Antrag der Bundesregierung die Aussetzung der Wehrpflicht verfügt. Es wurde der Eindruck erweckt, die Wehrpflicht gelte künftig nicht mehr. Dabei wird allenfalls vorübergehend darauf verzichtet, Wehrpflichtige einzuberufen. Es sollen stattdessen freiwillige Dienstleistende geworben werden. Dazu soll ein großer Aufwand betrieben werden, sodass die Einsparungen aus der Wehrreform, von denen oft gefaselt wurde, in den Sternen stehen. Die Bundeswehr wird zunächst einmal teurer.
Sie wird aber auch größer. Denn die letzte Änderung des Wehrpflichtgesetzes, jene vom 17. Februar 2005, wird nie mit bedacht. Damals wurde des Nachts und ohne Aussprache das „Gesetz über die Neuordnung der Reserve der Streitkräfte und zur Rechtsbereinigung des Wehrpflichtgesetzes“ beschlossen. Der Kern des Gesetzes: Die Anhebung des Alters von 45 auf 60 Jahre, bis zum dem Reservisten einberufen werden können, und der Einsatz von Reservisten im Krieg und im Inneren des Landes.
Die Bundesregierung schrieb jetzt in die Begründung für die Änderung des Wehrpflichtgesetzes hinein: Reservistinnen und Reservisten machen dasselbe wie Aktive, und dies im In- und Ausland und zwar in einer Armee des Einsatzes. Also im Krieg. Und dies geschieht nicht etwa freiwillig. Kanzlerin Angela Merkel schrieb an den Bundestag: „Ein Rückgriff auf Reservistinnen und Reservisten soll zur Bewältigung von Krisensituationen ohne deren Zustimmung möglich bleiben.“ An einsatzfähigen Reservisten gibt es derzeit rund 1,2 Millionen. Für 94.000 von ihnen ist ständig ein „Arbeitsplatz“ bei der Bundeswehr vorhanden. Somit sinkt mit der Bundeswehrreform die Zahl der Soldaten nicht auf 185.000, wie uns weisgemacht werden sollte, sondern sie steigt auf rund 280.000.
Im Jahr 2007 meldete die Bundeswehrzeitschrift „Y“: „Seit Jahresbeginn stellt sich die Bundeswehr in der Fläche der Republik neu auf.“ Sie zitierte den damaligen Minister Franz Josef Jung: „Die flächendeckende Einführung der Zivilmilitärischen Zusammenarbeit im Inland stellt sicher, dass die Bundeswehr in unsrer Heimat jederzeit und an jedem Ort unseres Landes Hilfe und Unterstützung leisten kann.“ Zu den Unterstützungsleistungen gehört der sogenannte Einsatz gegen den Terror und gegen Großschadensereignisse. Aus einer Antwort der Bundesregierung an die „Linke“ im Bundestag ging im Jahr 2009 hervor: Zumindest im öffentlichen Dienst steht Streikbruch mittels Bundeswehr auf der Tagesordnung. Die ZMZ-Kommandos kommen auch bei Demonstrationen zum Einsatz. Der Militäreinsatz anlässlich von Streiks im Transport-, Energie- oder Gesundheitswesen wird nicht ausgeschlossen – eine Entscheidung darüber sei „dem jeweiligen Einzelfall vorbehalten“ (laut BT-Drucksache 16/13847 und Pressemitteilung von Ulla Jelpke vom 1. September 2009). Die Abgeordnete Ulla Jelpke, unsere VVN-BdA-Kameradin, sagte dazu: „Die ZMZ-Kommandos wirken gleichsam als militärische Vorauskommandos, die schleichend in die zivilen Verwaltungsstrukturen einsickern. Das Konzept der ZMZ läuft damit letzten Endes auf einen offenen Verfassungsbruch hinaus.“
Den Interventionen der Bundeswehr im Ausland folgen also die im Inland. In Heiligendamm beim G8-Gipfel 2007 wurde es gründlich ausprobiert: mit Panzern, Flugzeugen, Hubschraubern und Marinebooten wurden die Demonstranten eingeschüchtert, im Zusammenspiel von Polizei und Militär – und wann kommt es zum Schießbefehl?
Guttenbergs und de Maizieres Bundeswehrreform sollte auf starken Widerspruch bei der Gewerkschafts- und Friedensbewegung stoßen. Vor allem sollte die Friedens- und Gewerkschaftsbewegung sich endlich einbringen in die „Reformdiskussion“. Der Satz in der sonst sehr gelungenen Erklärung des DGB zum Antikriegstag 1. September 2010, er sei für den Erhalt der Wehrpflicht und gegen eine Berufsarmee, ist ein unzureichender Debattenbeitrag. De facto hatten wir bereits eine Freiwilligenarmee, denn wer wollte, konnte den Kriegsdienst verweigern. Heute droht eine Bundeswehr mit „freiwillig gezwungenen“ Soldaten, denn die soziale Not und der Bildungsnotstand treibt Jugendliche in die Truppe. Die Wehrpflicht sollte durchaus in Frage gestellt werden und zwar als Beitrag in Richtung auf eine Demilitarisierung Deutschlands, wie sie uns 1945 völkerrechtlich auferlegt wurde.
Ich schlage vor, dass wir uns in die Debatte um die sogenannte Bundeswehrreform einbringen.
Erstens: Es muss insbesondere gegen die militaristische Durchdringung der Kommunalpolitik und des Bildungswesens vorgegangen werden.
Zweitens: Die Kampfbedingungen der Gewerkschaften müssen verteidigt werden. Denn zumindest im öffentlichen Dienst steht Streikbruch mittels Bundeswehr auf der Tagesordnung.
Drittens: Wir müssen die Jugendrechte schützen. In Schulen findet nun eine neue Art Wehrkunde und Militärwerbung statt. Und in Argen wird den jungen Langzeitarbeitslosen massiv – oft mit Feldjägerunterstützung – nahegelegt, in die Armee zu kommen. Bundeswehr raus aus den Rathäusern, aber auch aus Schulen und Argen, muss es heißen.
Viertens: Offenlegung und endgültige Beseitigung der Pläne für den Abschuss von Zivilflugzeugen, die unter „Terrorverdacht“ stehen – damit werden wir es mit Fukushima verstärkt zu tun bekommen.
Fünftens: Auflösung der integrierten Polizei-, Geheimdienst- und Militärbehörden wie das „Gemeinsame Terrorabwehrzentrum“ GTAZ in Berlin. Erstmals seit 1945 sind dort wieder Militär, Geheimdienste und Polizei zusammengefasst.
Sechstens: Abschaffung der Wehrpflicht bei gleichzeitigem Abbau von Militär überhaupt. Ja, es geht um die Wiederherstellung des Grundgesetzes in seiner Fassung von 1949.
Siebtens: Verbot jeder neuen speziellen Wehrmachtsjustiz. Oberst Klein, der Befehlshaber beim Massaker vom Kundus 2009 ist als Kriegsverbrecher zu bestrafen.
Achtens: Als Gewerkschafter sollten wir aus dem DGB wieder eine Friedensbewegung machen – für Abrüstung und Rüstungskonversion.