Martin Bennhold: „Was heißt „Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln“?
30. April 2013
Antisemitismus, Geschichtspolitik, Rassismus
Vorwort 2013
Im November 2012 veröffentlichte die Friedrich-Ebert-Stiftung ihre neueste Studie zum Weltbild der gesellschaftlichen Mitte. Unter den verschiedenen Aspekten rechtsextremer Einstelllungen erfreut sich der Chauvinismus gleich hinter der „Ausländerfeindlichkeit“ der höchsten Zustimmung bei den Befragten: 39,2 % der Befragten wünschen sich „endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl“, knapp 30 % fordern „ein hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland“ und 27,4 % wollen, dass, „Deutschland die Macht und Geltung zu verschaffen, die ihm zusteht“, oberstes Politikziel sein solle.
Wieweit diese Einstellungen mit der Militarisierung der Außenpolitik seit Beginn der 1990er Jahre einhergehen, wurde nicht untersucht, man kann einen Zusammenhang nur vermuten. Seit 1992 gibt es die „Verteidigungspolitische Richtlinie“: Deutschland wird dort verteidigt, wo der Zugang zu strategischen Rohstoffen gefährdet ist. Offiziell geht es natürlich vom Kosovo bis Afghanistan um Demokratie und Menschenrechte. Und ganz wie einst im Kaiserreich heißen die, die dafür sorgen sollen, dass am deutschen Wesen die Welt genese, „Schutztruppen“ …
1914 zogen begeisterte Deutsche in den Krieg: „Jeder Schuss ein Russ‘ – jeder Stoß ein Franzos’“ skandierten sie. Als das Kaiserreich nach dem 9. November 1918 am Boden lag, wurde ein Mythos geboren: Im Felde unbesiegt, sei die Reichswehr vom „inneren Feind“ zersetzt und bezwungen worden. Der berüchtigte „Dolchstoß“. Seitdem wurde Jagd gemacht auf alles „Undeutsche“. Seine höchste Zuspitzung erreicht dieses Feindbild im Konstrukt des „jüdischen Bolschewismus“.
Der Hass auf alles „Undeutsche“, auf Linke, Intellektuelle, Kosmopoliten, Juden, … einte fortan Monarchisten, Konservative, Deutsch-Nationale und schließlich Faschisten. Der unbedingte Wille, Deutschland doch noch zur Weltmacht zu machen und die Überzeugung, dass dafür zunächst das „Undeutsche“ ausgemerzt werden müsse, war eine wesentliche Grundlage für die erste Regierung, der Adolf Hitler als Reichskanzler vorstand und die sich mehrheitlich nicht aus Mitgliedern der NSDAP zusammensetzte.
Dass es den Faschisten gelang, die Mehrheit der Deutschen für Staatsterror gegen politische Gegner, für die zunehmende Entrechtung und Enteignung der Jüdischen Bevölkerung zu gewinnen und bis 1939 auf Weltkrieg und Völkermord einzustimmen, ist in hohem Maße der breiten Verankerung völkisch-nationalen Denkens geschuldet, wie es in Abwehr der emanzipatorischen Kraft der französischen Revolution entstanden ist und systematisch – vor allem in Preußen – verankert wurde.
Bis heute wird „Volk“ in Deutschland weniger als soziale Kategorie (der „3. Stand“), sondern als fiktive Blutsverwandtschaft und „Schicksalsgemeinschaft“ betrachtet. Schon wieder steht „das Deutsche“ nicht nur im Zentrum faschistischer Propaganda, sondern bestimmt auch die Haltung weiter Teile der gesellschaftlichen „Mitte“, wie aktuelle Studien belegen. Auch, weil führende Politiker aus Regierung und Opposition die gleichen nationalistischen Ressentiments bedienen.
Martin Bennhold, Jahrgang 1934, Professor für Rechtssoziologie an der Universität Osnabrück, geht in diesem grundlegenden Text aus dem Jahr 1996 der Entstehung und Entwicklung des spezifischen deutschen Begriffs von der Nation nach und erkennt in ihm eine noch immer virulente Wurzel des Faschismus.