Zur Kritik an der Ausstellung „Neofaschismus in Deutschland“

geschrieben von Dr. Axel Holz

30. Mai 2011

Die Ausstellung der VVN-BdA „Neofaschismus in Deutschland“ wurde in novellierter Form am 8. Mai 2010 veröffentlicht. Sie zeigt das moderne Gesicht des Neofaschismus in Deutschland, wie es ein NDR-Fernsehbeitrag am 9. September zur Eröffnung der VVN-Ausstellung im Sternberger „Alten Bahnhof“ formulierte.

Damit ist bereits der Charakter der Wanderausstellung treffend umschrieben, denn die Ausstellungsmacher wollen deutlich zu machen, dass die Aktivitäten der Neofaschisten in Deutschland, besonders die der NPD, inhaltich und werteorientiert in direktem Zusammenhang zum originären Faschismus der NS-Zeit stehen. Diese Formulierung kennzeichnet das Problem neofaschistischer Inhalte und diskriminierender Einstellungen in Teilen der Gesellschaft, die sich nicht auf die marginalisierende Rolle von Extremisten am Rande der Gesellschaft reduzieren läßt. Eben dieser Ansatz hat in unterschiedlichem Maße zu Kritik an der Ausstellung der VVN-BdA geführt.

Die Kritik läßt sich auf drei Phänomene reduzieren. Zum einen ist es der Versuch, durch Zuschreibungen, wie Neofaschismus als Kampfbegriff oder „Extremisten wollen über Extremisten aufklären“ das Zeigen der Ausstellung schlichtweg zu blockieren und das gemeinsame Handeln der Demokraten gegen Neofaschismus zu verhindern. Darüber hinaus wird mit einer neuen Entfaltung der Extremismusdebatte die Deutungshoheit über das Phänomen der aktuellen neofaschistischen Entwicklungen in Deutschland und Europa beansprucht, in der das einengende Bild vom Rechtsextremismus fest verankert ist. Schließlich umfaßt die Kritik inhaltliche Punkte der Ausstellung, die ofmals Berührungspunkte oder Überschneidungen der Kritiker oder ihnen vertrauter Personen und Gruppen betreffen und dadurch die Kritiker selbst emotional herausfordern.

Trotz der Unterschiedlichkeit der Motive und inhaltlichen Präferenzen muß die Kritik an eben diesen Positionen mit Sachkunde, historischer Genauigkeit und argumentativer Tiefe geführt werden. Ich will deshalb auf einzelne Kritikpunkte direkt eingehen. Es ist üblich geworden, das Vordringen der neonazitischen Ideen in der Gesellschaft political correct als rechtsextremistisch zu titulieren. Diese Formulierung geht trotz wertvoller Erkenntnissse der Rechtsextremismusforschung am Wesen der Sache vorbei, nämlich der Tasache, dass originäre Ideologieelemente der NSDAP, wie Rassimus, Antisemitismus, Chauvinismus, Demokratie- und Gewerkschaftfeindlichkeit sowie Gewalt gegenüber Anderdenkenden und anderen zum Feindbild erklärten Gruppen in der neofaschistischen Bewegung reproduziert und bewußt bedient werden. Das belegen die Schwerpunkte der politischen Aktivitäten der NPD auf der Straße und im Parlament. Wie vor 75 Jahren wird von der „Judenrepublik“ gesprochen, von den „Systemparteien“, die die nationlen Interessen der Deutschen angeblich nicht vertreten würden.

Der Diskriminierung, Diffamierung und Bedrohung von Gruppen in der Gesellschaft durch Neonazis folgt der parlamentarische Versuch, diese Gruppen zu entrechten. Die Anträge der NPD zur Schaffung einer Volksgesundheitskasse, zur Umwidmung der Integrations- in Ausländerrückführungsbeauftragte und des Bekenntnisses der NPD dazu, sich parlamentarisch für die „Gesunden und Starken“ einzusetzen, respektive die Schwachen zu diskriminieren, belegen das eindrücklich. Hier ist der Vergleich mit der NS-Ideologie nicht nur möglich, sondern geradezu geboten. Dabei sollte auch darauf verwiesen werden, dass faschistische Bewegungen in Europa nach dem 1. Weltkrieg eine historische Tatsache waren, die es in einigen Fällen mit der Unterstützung einflußreicher gesellschaftlicher Kreise auch zur Herrschaftsübernahme geschafft haben, um ihrer Ideologie den wirksamen Nachdruck der politischen Macht zu geben. Das betrifft nicht nur Deutschland, sondern auch Italien, Spanien oder Kroatien. Die begriffliche ökonomistische Verengung des Phänomens „Faschismus an der Macht“ durch Dimitroff bietet keinen hinreichenden Grund, die historische Wirkung faschistischer Bewegungen dieser Zeit auszublenden.

Abgesehen davon wurde mit der berechtigten Kritik am eingeengten dimitroffschen Ansatz auch der reale Kern seiner Kritik mit ausgeschaltet. Seit Beginn der zwanziger Jahre hatten einflußreiche wirtschaftliche Kreise, etwa in der Person Thyssen, enge Kontakte zur faschistischen Bewegung in Deutschland. Der folgte 1930 die gezielte Förderung der Nazi-Bewegung durch Spenden aus der Wirtschaft, wiederum von Thyssen. Spätestens 1932 wurde der Kontakt der NSDAP zur Wirtschaft verstetigt. So durfte Hitler im Frühjahr 1932 vor 600 Vertretern der Wirtschaft für sein politisches Konzept werben. Im Herbst bat eine Gruppe von Unternehmern den Reichspräsidenten um die Einsetzung Hitlers als Reichskanzler.

Die Liste der Namen in diesem Bittbrief, den die Zeitung „Freitag“ vor geraumer Zeit wieder veröffentlichte, liest sich wie das who ist who der deutschen Industrie- und Bankenwelt. Nun zu einigen inhaltliche Kritikpunkten an einzelnen Aussagen der Ausstellung. Ein wesentlicher Kritikpunkt bezieht sich auf den Teil der Ausstellung, in dem inhaltliche Parallelen und organisatorische Überschneidungen in der Gesellschaft zur Nazi-Szene benannt werden. So wird nicht selten die Kritik zurückgewiesen, mit der Burschenschaften inhaltliche Überschneidungen zur Nazi-Szene vorgeworfen werden. Erst im vergangegen Jahr haben sich die deutschen Burschenschaften auf einem bundesweiten Kongreß von rechtsradikalen Tendenzen distanziert – eben weil es ein solches Problem offensichtlich gibt. Nicht zufällig kommen namhafte Neofaschisten, wie der Chef der DVU, Rolf Schlierer, aus der Burschenschaftsszene. Auch das konservative Studienzentrum Weikersheim kann trotz seines renommierten Namens inhaltliche Überschneidungen zu Gedankengut der neuen Nazis nicht verbergen. Auf der Homepage des Instituts bewirbt das Zentrum eine Tagung zum Thema „Europa der Völker“ – ein zentraler, EU-feindlicher Wahlslogan der neofaschistischen NPD.

Schließlich wird gelegentlich die Kritik am Bund der Vertriebenen als nicht sachgrecht dargestellt. Tatsache aber ist, dass der Bund der Vertriebenen, wie jüngst erst wieder in Bemerkungen Erika Steinbachs mit Zweifeln an der Kriegsschuld der Deutschen deutlich wurde, seit seinem Bestehen mit revanchistischen und geschichtsverzerrenden Thesen nachhaltig aktiv ist. Trotz einer großen Integrationsleistung des Verbandes wird dieser Teil der Geschichte des Verbandes gern tabuisiert. Vergessen ist dabei, dass Verbandspräsidentin Erika Steinbach noch 1991 im Bundestag die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze ablehnte, die spätestens mit dem 2+4-Vertrag und dem Einigungsvertrag beider deutscher Staaten völkerrechtlich endgültig anerkannt war. Ein Artikel des „Spiegel“ vom Januar 2010 zeigt in der Ausstellung, wie der BdV die eigene revanchistische Vergangeheit zu vertuschen sucht. Zudem eröffnet der Artikel, dass eben nicht nur Mitläufer des BdV Nazis waren, sondern auch Vorstandsmitglieder, von denen wiederum einige Vertreter in die NPD und den neofaschistischen Witikobund abwanderten, andere sich ihrer NS-Vergangenheit rühmten.

Die VVN-Ausstellung greift auch ein Thema der Geschichtsbetrachtung auf, das man als Tabuisierung der Tabus bei der Aufarbeitung der NS-Geschichte in Westdeutschland bezeichnen könnte. Die Tafel „Verpasster Neubeginn, fragwürdige Erben“ widmet sich diesem Thema. Der Einsatz von hochrangigen Vertretern des NS-Regimes in Wirtschaft, Politik, Justiz, Medien, Militär und Geheimdiensten der Bundesrepublik gehört ebenso dazu, wie die Neugründiung neofaschistischer Parteien trotz eines Artikels139 im Grundgesetz, der eben dies verbietet. Dazu gehört auch die ungestörte und staatlich geförderte Arbeit bereits oben genannter Revanchistenverbände. Dabei besteht das hier beschriebene Problem nicht darin, dass in Ost und West gleichermaßen Nazis und Mitläufer massenhaft in eine neue Ordnung integriert werden mußten. Die Nichtverfolgung der Täter war in der BRD eben die Regel und nicht in der DDR, in der bevölkerungsbezogen fünf mal so viel NS-Täter überwiegend nach rechtsstaatlichen Maßstäben abgeurteilt wurden. Dies bestätigt z.B. eine Ausstellung über die Euthanasie-Prozesse nach dem Krieg in Dresden, die vor geraumer Zeit auch im Schweriner Klinikum gezeigt wurde. Unstritig ist: Das Ausmaß der Nachsicht im Umgang mit NS-Tätern in Westdeutschland ist im europäischen Maßstab einmalig.

Ein wiederholter Angriffspunkt gegenüber der VVN-Ausstellung betrifft die aufgezeigten inhaltlichen Parallelen aus der Gesellschaft heraus zur Nazi-Ideologie. Hier geht es der Ausstellung nicht um Gleichsetzung, sondern um Vergleichen. Dabei wird deutlich, so kommentiert die Ausstellung, dass diskriminierende Bemerkungen von Medien und herausragendenden Persönlichkeiten den Neofaschisten in die Hände spielen und ihnen Handlungsspielräume eröffnen. Niemand behauptet, das Koch mit einem ausländerfeindlichen Wahlkampf, Westerwelle mit diskriminierenden Äußerungen gegenüber sozial Schwachen, die ihre sozialstaatlich verbrieften Rechte einfordern, oder Sarrazin mit außerländerfeindlichen Äußerungen Nazis seien. Die Ausstellungsmacher weigern sich aber, sich auf eine Diskussion einzulassen, in der je nach politischer Wetterlage festgelegt wird, ab wann diskriminierende Äußerungen erlaubt seien oder auch nicht. In diesem Sinne hat die Ausstellung der VVN-BdA den Nerv der Zeit getroffen, denn es geht ihr nicht darum, in der Auseinandersetzzung mit dem Neofaschismus nur auf die Gegner der Demokratie zu zeigen, sondern die Äußerungen und das Verhalten der Demokraten selbst einzubeziehen.