In „Hör- und Sichtweite“ der NPD
16. Juli 2014
Am Ende hatte sich alles gelohnt: Zwei Jahre Vorbereitung, unzählige Bündnistreffen, der Gang vor das Verwaltungsgericht Dresden, das zwei Tage vor der Demonstration die anmaßenden Auflagen des Landratsamtes Meißen kippte, die viele Fahrerei und der ganze Ärger: Am 21. Juni hat der Aktionstag des Bündnisses „Deutsche Stimme abschalten!“ in Riesa erfolgreich stattgefunden. Er begann am Vormittag mit einer „wandernden Präsentation“ der neuen Neofaausstellung, die vom Rathausplatz über die Hauptstraße zum Kino führte, vor dem das Bündnis einen Infotisch aufgebaut hatte. Dahinter hing die Ausstellung an einem (extra aufgestellten) Bauzaun, die Idee funktionierte gut und kann nachgenutzt werden. Anschließend versammelten sich die Demonstrationsteilnehmer in der Nähe des Gewerbegebietes, in dem der Verlag der „Deutschen Stimme“ sitzt. Mehr als 200 Demonstranten waren es nicht, das war der einzige Wermutstropfen dieses Tages. Doch angesichts dessen, dass sächsische Antifas zeitgleich gegen einen Naziaufmarsch protestierten und die Kleinstadt Riesa für eine bundesweite Demonstration doch etwas abgelegen ist, entsprach die Beteiligung wahrscheinlich den Möglichkeiten. Gut vertreten war auf jeden Fall die sächsische Polizei, die bestimmt mehr Beamte (vor allem aus Leipzig und Dresden) im Einsatz hatte, als Demonstranten anwesend waren. Dieser „Großeinsatz“ spiegelte in gewisser Weise auch die Unsicherheit der örtlichen Behörden im Vorfeld des Aktionstages wieder. Noch nie hat es in Riesa eine öffentliche Aktion direkt vor dem Gebäude des Verlages gegeben, seit die „Deutsche Stimme“ vor 14(!) Jahren aus dem oberbayerischen Dorf Sinning vertrieben und nach kurzem Halt in Stuttgart in Riesa ansässig wurde. Dass dies der eigentliche Skandal ist, der das Städtchen in ein denkbar schlechtes Licht rückt, ist der Mehrheit der Riesaer Bürgerinnen und Bürger nicht bewusst. Im Stadtrat verfügt die NPD über 2 Sitze, genauso viele wie die SPD. Das Gebäude in der Geschwister-Scholl-Straße hat sie von der örtlichen Volksbank erworben und die NPD-Kader gelten als freundliche Nachbarn und Geschäftspartner. Am Anfang entwickelte sich die NPD Immobilie sogar zu einer Art sozialem Treffpunkt. Fast eine bemerkenswerte Aktion, dass die Stadt- um Abgrenzung bemüht- wenigstens die Straße in „Geschwister-Scholl-Straße“ umbenannte. Besonders willkommen fühlten sich die Demonstrationsteilnehmer auf ihrem Marsch und bei der Abschlusskundgebung nicht. Zwar hielten sich Nazipöbeleien in Grenzen, doch auf viele Anwohner der Demonstrationsroute wirkte der Zug wohl bestenfalls exotisch. Mehr darüber weiß die NSA, weil die die Kommentare kennt, mit denen die von Fenstern und Balkonen aus geschossenen Handyfotos gepostet wurden. Gewisse Gereiztheiten wurden auf jeden Fall bei den Bewohnern der Einfamilienhäuser rund um den Kundgebungsplatz deutlich. Zwar hatte die Polizei das NPD-Gebäude weiträumig mit Gittern abgesperrt, aber offensichtlich nicht über die Straßensperrung informiert. Doch letztlich war das bedeutungslos. Auf der Abschlusskundgebung kamen endlich einmal die zu Wort, die der NPD und den menschenverachtenden und rassistischen Hetzern von der „Deutschen Stimme“ die beschauliche Ruhe in Riesa nicht gönnen. So Andreas Näther vom „Riesaer Appell“, der sich für die Möglichkeit bedankte, das 1. Mal auf öffentlichem Gelände gegen die NPD protestieren zu können. So die Landtagsabgeordneten Henning Homann von der SPD und Kerstin Köditz von der Linken, die die Rolle der NPD als „Hinterland“ regionaler Nazibanden aufdeckten. Und „Feine Sahne Fischfilet“ spielte auf. Jene Band, die im letzten Jahr aus Riesa ausgeladen wurde, weil sich die NPD im Stadtrat über den geplanten Auftritt der „Linksextremisten“ beschwert hatte. Am Abend wurde ihr Konzert zur großen Freude ihrer Fans, die schon bei der Kundgebung mitgetanzt hatten, im örtlichen Jugendklub nachgeholt. Wahrscheinlich war der größte Erfolg des Aktionstages, bewiesen zu haben, dass demokratische Grundregeln auch in sächsischen Kleinstädten gelten. Dass die schweigende Akzeptanz von Nazis durchbrochen werden kann und durchbrochen werden muss. Die Bündnispartner vor Ort, zermürbt von vergeblichen Kämpfen gegen schweigende Mehrheiten haben neue ermutigende Erfahrungen gewonnen. Und das muss weitergehen. So lange, bis die „Deutsche Stimme„ eines Tages auch aus Riesa vertrieben wird.