Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus
2. Februar 2012
Unser Kamerad der VVN- BdA, der Buchenwaldüberlebende Ottomar Rothmann gedachte 2012 im Thüringer Landtag den Opfern des Nationalsozialismus. „Es geht nicht darum, das Entsetzen zu konservieren, sondern darum, Lehren zu ziehen, die auch künftigen Generationen Orientierung sind.“- und er fordert ein Verbot der NPD.
Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Sehr geehrte Ministerpräsidentin! Sehr geehrte Landtagsabgeordnete! Sehr geehrte Gäste- liebe Kameraden!
Seit 1996 wird in der Bundesrepublik Deutschland der 27. Januar als Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus begangen. Anlässlich dieses nationalen Gedenktages, den Bundespräsident Roman Herzog durch Proklamation Anfang 1996 einführte, wird an Millionen von Menschen erinnert, die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verfolgt und ermordet wurden. Das Datum an sich erinnert an die Befreiung der Überlebenden des nationalsozialistischen Vernichtungslagers Auschwitz- Birkenau am 27. Januar 1945.
Auschwitz steht symbolhaft für millionenfachen Mord vor allem an Juden, aber auch an anderen Gruppen der Bevölkerung. Es steht für Brutalität und Unmenschlichkeit, für Verfolgung und Unterdrückung, für die in Perfektion organisierte „Vernichtung“ von Menschen. Wir gedenken der Millionen Opfer des faschistischen Rassenwahnes und der Millionen anderen Opfer aus dem In- und Ausland.Für sie sind solche Orte wie Auschwitz, Majdanek, Sachsenhausen, Buchenwald, Ravensbrück und andere, wie keine anderen Orte der Geschichte der Menschheit, Orte der Menschenverachtung und Massenmord geworden.
In diesem Zusammenhang erinnere ich an den Judenpogrom 1938 und an die verbrecherischen „medizinischen Versuche“ an den Häftlingen im Auftrag solcher Betriebe, wie die IG Farben Industrie. Es fällt mir schwer auszusprechen, was nicht wenige Frauen in Ravensbrück erleiden mussten. Nach künstlicher Schwangerschaft wurde die Leibesfrucht bei vollem Bewusstsein per Kaiserschnitt entnommen. In anderen Lagern, so in Buchenwald, wurden Fleckfieber und Virus- Experimente durchgeführt, die fast ohne Ausnahmen zum Tode führten. Auch Versuche an Gelbfieber, Pocken, Typhus, Cholera und Diphterie standen auf der Tagesordnung.
Unsere Aufgabe besteht darin, aus der Erinnerung an diese Verbrechen immer wieder lebendige Zukunft werden zu lassen. Es geht nicht darum, das Entsetzen zu konservieren, sondern darum, Lehren zu ziehen, die auch künftigen Generationen Orientierung sind. Wir wissen, viele haben sich schuldig gemacht, aber die entscheidende Aufgabe ist es heute, eine Wiederholung – wo und in welcher Form auch immer- zu verhindern.
Dazu gehört beides, die Kenntnis der Folgen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und die Kenntnis der Anfänge, die oft im Kleinen, ja sogar im Banalen liegen können. In dieser Weise habe ich es 1938 erlebt. Zerstörte und ausgeplünderte Geschäfte jüdischer Bürger meiner Heimatstadt Magdeburg. Die Synagoge brannte, die jüdischen Bürger waren bereits in der Nacht aus ihren Wohnungen gezerrt und abtransportiert worden. Diese antisemitische Pogrom nannten die Nazis zynisch „Kristallnacht“. Damals habe ich mit meinen 17 Jahren noch nicht ahnen können, dass diese verbrecherische Aktion die Einleitung zum Massenmord an jüdischen Menschen darstellte. Die sogenannte Endlösung der Judenfrage forderte über 6 Millionen Opfer.
In diesem Zusammenhang möchte ich sagen: Vor allem kommt es darauf an, den jungen Menschen den Blick dafür zu schärfen, woran man Rassismus in den Anfängen erkennt. Denn im Kampf gegen dieses Grundübel des 20. Jahrhunderts kommt es vor allem anderen auf rechtzeitige Gegenwehr an. Die Erfahrungen der Nazizeit verlangt von uns und allen künftigen Generationen, nicht erst aktiv zu werden, wenn die Schlinge schon um den eigenen Hals liegt. Nicht abwarten, ob die Katastrophe vielleicht ausbleibt, sondern verhindern, dass sie überhaupt die Chance bekommt überhaupt einzutreten. Erkenntnisse, die ich über Gestapo, Justiz und Buchenwald sammeln konnte, nutze ich im Besonderen zur Erfüllung dieser Aufgabe.
Auschwitz wurde am 27. Januar befreit. Nach dieser Zeit wurden die Verbrechen der Nazis in anderen Lagern, so auch in Buchenwald fortgesetzt. Das Konzentrationslager auf dem Ettersberg bei Weimar, eine Stätte der Barbarei und Menschenvernichtung, mit dem harmlosen Namen „Buchenwald“. Es kamen Junge und Alte, Kinder ab 6 Jahre und Greise bis 80 Jahre nach Buchenwald. Vielen, sehr vielen stand im Gesicht geschrieben, dass sie das Lager nicht mehr lebend verlassen werden. Sie werden nicht mehr die Mutter, den Vater, die Geschwister, die Frau, die Kinder umarmen können. Zu diesen Unglücklichen zählten über 60.000 Kameraden.
Dazu zählten auch die Kameraden, die im Januar 1945 zu tausenden aus Auschwitz, Groß Rosen, Monowitz nach Buchenwald getrieben wurden. Die ankommenden Kameraden befanden sich in einen unbeschreiblichen Zustand. Sie waren mit denkbar schlechtester Fußbekleidung über 100 km marschiert, dann in offene Güterwagen verladen worden, und drei Wochen in Schnee und Eis ohne Verpflegung unterwegs. Hunderte von Kollaps Fällen, Hunderte erfroren, verhungert. Der Abtransport vom Bahnhof Buchenwald ins Lager dauerte die ganze Nacht. Es ist kaum in Worte zu fassen, was die Ankunft dieser Kameraden für das gesamte Lager bedeutete. Fehlende Unterkunft, Mangel an Verpflegung führte zu Hunger. Keine oder fast keine Krankenversorgung, alles in allem eine katastrophale Lage. Die internationale Solidarität hinter Stacheldraht konnte diese furchtbare Situation nur lindern.Viele haben den 11. April, den Tag der Freiheit nicht mehr erlebt.
Im Refrain des Buchenwaldliedes heißt es u.a.:
„Oh Buchenwald ich kann dich nicht vergessen, weil du mein Schicksal bist. Wer dich verließ der kann es erst ermessen, wie wundervoll die Freiheit ist.“
Ja, so ist es wirklich, Buchenwald kann man nicht vergessen, nicht die Qualen, nicht die Demütigungen, nicht die grauenvollen äußeren Umstände und Lebensbedingungen im Lager, nicht Krankheit und auch nicht den massenhaften Tod, nicht vergessen die Augen der Kinder von Buchenwald, die keine Tränen mehr hatten.
Viele unserer gefallenen, gemordeten Kameraden kämpften in der Illegalität gegen die mächtige Terrorherrschaft der Nazis. In Finsternis, ständig vom Tode bedroht, verbreiteten sie das Licht der Wahrheit. Sie ließen sich nicht beugen in Zuchthäusern und Konzentrationslagern. Sie haben für die Befreiung des deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus ihr Leben eingesetzt.
Nichts von dem, was die Helden des antifaschistischen Widerstandes geleistet haben, war umsonst. Ihr Kampf, ihr Leiden, ihre Standhaftigkeit, ihr Opfer, ihre Erfahrung, ihr Mut- das war das wertvollste, was sie uns gegeben, was sie uns hinterlassen haben. Diese Aussage entspricht auch der Ehre und der Würde, die wir unseren gemordeten Kameraden schuldig sind. Auch sie haben ihren Beitrag zu dem weltgeschichtlichen Sieg des Jahres 1945 geleistet.
Wir hätten uns damals 1945 nicht träumen lassen, dass es heute in Deutschland wieder rechte Kräfte gibt, die es sich wagen und es sich wagen dürfen, in unseren Städten zu demonstrieren. Die Politiker, wir alle, müssen mit aller Macht die Demokratie verteidigen und den rechten Kräften keinen Millimeter Raum lassen. Dazu gehört das NPD Verbot! Die im Grundgesetz garantierten demokratischen Rechte dürfen kein Freibrief sein, Aufmärsche rechter Gruppen zu legalisieren und fremdenfeindliche Propaganda zu dulden.
Es gibt aber nicht nur Aufmärsche rechter Gruppen. Es gibt in Deutschland schon wieder politische Gewalttaten. Die Neonazis gehen nicht nur gegen die Flüchtlinge vor, gegen Menschen anderer Hautfarbe, nein, sie schrecken nicht vor verbrecherischem Mord zurück. Wir konnten es vor allem in letzter Zeit erleben.
Diese Tatsache verpflichtet uns insbesondere, die Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Dazu gehört die gemeinsame Verantwortung, den sich in der Gegenwart mehrenden Ausschreitungen aktiv entgegen zu treten. Für uns alle muss die Devise gelten:
Ob Sozialdemokraten, Linke, Liberale, ob Christen oder Freimaurer, Juden oder Atheisten, im Antifaschismus gehören wir alle zusammen. Dabei darf es keine Berührungsängste geben.
Der Blick in unsere Geschichte verpflichtet uns, alle Kraft gegen Neo- Nazis, Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Intoleranz in jeder Form einzusetzen. Das sind wir unseren demokratischen Freiheiten schuldig.
Leben und handeln wir nach dem herrlichen Wort von Johann Wolfgang von Goethe:
„Edel sei der Mensch, hilfreich und gut! Denn das allein unterscheidet ihn von allen Wesen, die wir kennen.“
Ich danke für ihre Aufmerksamkeit.
Die Buchenwaldüberlebenden Bertrand Herz und Ottomar Rothmann sind Ehrenbürger der Stadt Weimar. (2009/2011)