Unsere Aufgaben für die Zukunft
17. März 2012
„In unserer Organisation hat sich in den letzten Jahren ein Generationswechsel vollzogen, dem wir Rechnung tragen müssen. Mit dem Tod der Zeitzeugen, die den Faschismus noch aus eigenem Erleben kannten, verändert sich der Blick auf die Geschichte und die bestehende Gesellschaft, denn jede Generation stellt ihre eigenen Fragen an die Vergangenheit.“
Das steht in dem Leitantrag, den unser letzter Bundeskongress beschlossen hat. Und das bedeutet, dass mit den neu Hinzugekommenen und mit den – hoffentlich – noch neu Hinzukommenden auch neue Zugänge zum Antifaschismus zu uns stoßen. Neue Fragen, neue Antworten, neue Akzente.
Die VVN-BdA wird breiter werden und sie wird es aushalten und es wird ihr gut tun! Was uns von anderen unterscheidet, bleibt die direkte Erfahrung der WiderstandskämpferInnen und Verfolgten, die die Organisation trägt. Diese Erfahrung in die gesellschaftliche Auseinandersetzung um die Deutung der Geschichte einzubringen, die noch lange nicht abgeschlossen ist und die inzwischen ja eine ausgesprochen dramatische europäische Dimension erhalten hat, ist eine unserer zentralen Aufgaben.
Mit unserem Kongress „Einspruch!“ haben wir Stellung bezogen zu einigen wesentlichen Tendenzen in Deutschland. Wir müssen uns mit der Geschichte und mit den gesellschaftlichen Diskursen zur Geschichtspolitik weiter und intensiver beschäftigen und wir müssen mit unseren Partnerverbänden der FIR darüber ins Gespräch kommen, wie wir in diese Auseinandersetzung eingreifen können. Ich nutze die Gelegenheit, dem Exekutivausschuss der FIR diesen Vorschlag zu unterbreiten.
In Deutschland sind wir mittlerweile in einer Phase der Musealisierung der Erinnerung an Verfolgung und Widerstand angekommen, in der eine gewisse nüchterne Wissenschaftlichkeit der Darstellung zum Leitbild geworden ist. (Ich spreche hier von öffentlichen Gedenkorten, nicht von Fernsehsendungen die wie vom Band produziert werden und über Wissenschaftlichkeit schon lang hinaus und demnächst bei Hitlers Haustieren angekommen sind.)
Unser Beitrag, unsere Forderung an dieser Stelle muss sein, die Sicht der Verfolgten einzubringen und darauf zu bestehen, dass diese in die Darstellung einfließt. Schließlich sind Gedenkstätten üblicherweise Orte ihres Leidens, ihrer Verzweiflung, allzu oft ihres Todes. Wir sind legitime Vertreterin der Interessen und des politischen Erbes der ehemaligen Häftlinge. Diesen Anspruch vertreten wir und mit diesem Anspruch wollen wir mitgestalten, wie an „unsere Leute“ und ihre Geschichte erinnert wird.
Es ist gut, dass aus NRW die Initiative „Kinder des Widerstands“ kommt. Es freut uns, dass die 2. Generation sich organisiert und an die Öffentlichkeit tritt. Viel zu wenig wurde bisher darüber gesprochen, wie es den Überlebenden und ihren Kindern nach der Befreiung, im Kalten Krieg, während des VVN-Verbots, während des KPD-Verbots ging. Viel zu wenig wurde bisher deutlich, dass unsere „Zeitzeugen“ auch Kinder und Enkel haben, die ihr Erbe weiter tragen, auch zu uns.
Für unsere eigene Gedenk- und Erinnerungskultur müssen wir die Konzepte weiter entwickeln. Noch sind unsere Veranstaltungen stark auf uns selbst gerichtet, dienen oft der Selbst-Vergewisserung. Wie können wir sie zu einem Beitrag im gesellschaftlichen Diskurs werden lassen? Welchen Beitrag können wir dazu leisten, dass der 8. Mai nicht schleichend zum „Tag der Befreiung der Lager“ wird, was – obwohl inhaltlicher Unfug – immer häufiger im öffentlichen Sprachgebrauch zu hören ist. Wie machen wir deutlich, dass die Befreiung Europas vom Faschismus – ungeachtet späterer Kräftekonstellationen – Grund für einen Feiertag ist, wie überzeugen wir, dass „Nie wieder Faschismus“ ein kategorischer Imperativ ist und bleiben muss?
Auf diese Fragen gilt es in der Zukunft eine zeitgemäße überzeugende Antwort im Generationen übergreifenden Miteinander zu finden.
Heinrich Fink hat einleitend von der Notwendigkeit gesprochen, sich alten und neuen Nazis überall in der Republik in den Weg zu stellen, ihren Opfern Solidarität zu zeigen. Das haben wir schon gemeinsam getan, bevor wir uns organisatorisch vereint haben und wir wollen auch in Zukunft einen Beitrag dazu leisten, dass Faschismus und Faschisten aus dem öffentlichen Leben verschwinden. Ich war auch am 18. Februar mit vielen Kameradinnen und Kameraden aus etlichen Bundesländern in Dresden. Dabei waren Menschen unterschiedlichen Alters und mit vielen verschiedenen Zugängen zum Antifaschismus aus der ganzen Republik. Allerdings bestand die mit Abstand größte Gruppe der DemonstrantInnen wie schon in den vergangenen Jahren aus Tausenden junger Leute in schwarzen Klamotten. Sie sind es, die sich immer und überall mit uns gemeinsam den Nazis auf der Straße in den Weg stellen. Und das wollen wir auch in Zukunft immer wieder zusammen mit ihnen tun!
Wir haben gerade die dritte nonpd-Kampagne gestartet und die ersten 5.000 Unterschriften gesammelt. Der lange Atem, den wir brauchen, bis endlich ein Verbotsverfahren auf den Weg gebracht wird, muss noch viel länger sein: schließlich ist die NPD zwar die größte, strukturell wichtigste und politisch gefährlichste Organisation des Neofaschismus, verboten gehören sie am Ende aber alle! Das ist weder Vertrauen in, noch Delegation an den Staat, sondern das Einfordern der praktischen Konsequenz aus dem „Nie wieder“, was sich ja bekanntlich auch in Artikel 139 GG niedergeschlagen hat. Das ersetzt keine politische Auseinandersetzung, das ist der Teil der politischen Auseinandersetzung, in dem Grenzen der gesellschaftlichen Toleranz gesetzt werden und Faschismus als das gekennzeichnet wird, was er ist: keine Meinung, sondern ein Verbrechen.
Zur Solidarität mit den Opfern faschistischer Gewalt gehört noch etwas: Dazu gehört auch, dem gesellschaftlichen Klima von Stigmatisierung und Ausgrenzung, dem staatlichen Rassismus und dem Alltagsrassismus, entgegen zu treten, die Menschen zu potentiellen Opfern machen und Neofaschisten das Gefühl geben, sie seien eine Art von Avantgarde, die den Mut hat radikal zu tun, was andere wollen. Hierzu wollen wir im August bei unserer Aktionskonferenz zum 20. Jahrestag des Pogroms in Rostock mit Bündnispartnern ins Gespräch kommen.
Wir werden auch in Zukunft Teil der Friedensbewegung sein, wir werden uns an der Organisation von Veranstaltungen und Aktionen gegen Krieg und Militarismus beteiligen. Wir werden weiterhin gegen die Militarisierung der Außenpolitik und Demokratieabbau im Innern auftreten. Wir werden auch in Zukunft das Grundgesetz als Gegenentwurf zum besiegten Faschismus verteidigen. Wir bleiben uns und unserer Tradition treu.
Wir werden weiter den Schwur der befreiten Häftlinge von Buchenwald als unser Vermächtnis annehmen.
Aber wir werden uns auch mit neuen Fragen beschäftigen müssen und vielleicht an der einen oder anderen Stelle auch neue Antworten finden. Und wir hoffen, dass uns das unserem Ziel ein Stückchen näher bringen wird: einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit.