Macht euch bereit für die Notfallproteste!

15. Oktober 2009

Sie wollen Mumia Abu-Jamal umbringen – wir alle gemeinsam können das verhindern!

Seit 27 Jahren bereits sitzt der afro-amerikanische Journalist Mumia Abu-Jamal als politischer Gefangener im Todestrakt von Pennsylvania (USA). Sein Prozess und sein Urteil 1982 waren ein Muster an Rassismus und Klassenjustiz.

Der vorsitzende Richter verweigerte ihm das Geld für die Verteidigung und bezeichnete ihn als „N…r“, dem schlimmsten rassistischen Schimpfwort nach US-Standards. Der Staatsanwalt siebte sich eine Jury, die fast nur aus konservativen Weißen bestand und zeichnete dann vom Angeklagten das Bild eines eiskalten, linksradikalen Killers. In diesem von Rassismus und politischer Repression gekennzeichneten Prozess wurde der völlig chancenlose ehemalige Black Panther Pressesprecher zum Tode verurteilt. Die lebensfeindlichen Haftbedingungen im Todestrakt haben Mumia jedoch weder gebrochen noch zum Schweigen gebracht. Auch aus der Todeszelle gibt er nicht auf und schreibt gegen die Ungerechtigkeiten der kapitalistischen Gesellschaft.

Warum wir Mumia Abu-Jamal unterstützen:

Die Todesstrafe ist rassistisch: Mehr als die Hälfte aller InsassInnen in den Todestrakten der USA sind „Afroamerikaner“. Die Todesstrafe richtet sich gegen die Armen – mehr als 90% der Gefangenen sind arm. Mumia Abu-Jamals Fall ist einer von vielen. Er war arm und konnte sich keine wirkliche Verteidigung leisten. Er ist Afroamerikaner. Mumias Fall ist beispielhaft für Tausende.

Dazu kommt: er ist politischer Aktivist und den Machthabenden ein Dorn im Auge. Mumia kämpft in all den Jahren nicht nur für seine Freiheit, sondern setzt sich unermüdlich ein – für die zum Tode verurteilten Menschen in den Todestrakten der Welt.

Als „Voice Of The Voiceless“ (Stimme der Unterdrückten), wie er schon vorher wegen seiner Arbeit als Radiojournalist genannt wurde, gibt er Gefangenen und allen, die keinen Zugang zu medialer Darstellung haben, eine Stimme und ein Gesicht.

Anfang April 2009 zeigte das höchste Gericht erneut, was in den USA bereits bei vielen als „Mumia-Ausnahme“ bekannt ist: jedes geltende Recht wird umgedeutet oder einfach ignoriert, wenn es der Absicht der Justiz und Politik im Weg ist, Mumia dafür zu bestrafen, dass er nicht klein bei gibt.

Der Oberste Gerichtshof der USA fand gerade mal zwei Worte, um diesen seit beinahe drei Jahrzehnten öffentlich bekannten Justizskandal um den politischen Gefangenen Mumia Abu-Jamal zu kommentieren: „Antrag abgelehnt“. Sie wollen Mumia also entweder hinrichten oder für den Rest seines Lebens im Knast begraben.

Nachdem also mit der Entscheidung im April 2009 endgültig abgesegnet wurde, dass ihm kein neues Verfahren gewährt wird, steht für den Herbst 2009 nur noch eine Entscheidung des höchsten US-Gerichts aus: Ob das Todesurteil von 1982 bestätigt wird oder eine neue Jury darüber befinden soll, ob es in lebenslange Haft umgewandelt wird.

Die Staatsanwaltschaft von Philadelphia will Mumias Hinrichtung um jeden Preis und macht großen Druck, um dieses Ziel zu erreichen. Nach Aussagen seines Anwalts R. Bryan befindet sich Mumia in der größten Lebensgefahr seit seiner Festnahme 1981.

Schon zweimal haben weltweite Proteste die angeordnete Hinrichtung verhindern können (1995 und 1999) – nur eine breite internationale Protest- und Solidaritätsbewegung wird es auch diesmal fertig bringen können, dass der geplante staatliche Mord nicht durchgeführt werden kann.

Natürlich werden auch weiterhin alle möglichen rechtlichen Schritte von seinem Anwaltsteam ausgeschöpft, um ihn vor der Hinrichtung zu retten. Doch unabhängig von der juristischen Lage haben Mumia selbst, seine Verteidigung, sowie auch die weltweiten UnterstützerInnen immer wieder klar gesagt, dass politische Verfahren eben nicht im Gerichtssaal, sondern vor allem auf der Straße gewonnen werden.

Die Solidaritätsbewegung in den USA versucht derzeit, politischen Druck auf die Obama-Regierung zu entwickeln. Natürlich ist allen klar, dass genau wie von der rassistischen US-Justiz auch von der Regierung keine Fairness gegenüber politischen Gefangenen zu erwarten ist. Trotzdem will die Bewegung in den USA die Regierung öffentlich in die Verantwortung nehmen und sie gerade in Bezug auf ihre (hohlen) Wahlversprechen von „Change“ (=Veränderung/Wandel) auf ihre Haltung zum Rassismus in den Gerichten zu einer Stellungnahme zwingen. Ausdruck findet das u.a. in der Forderung der großen Bürgerrechtsorganisation NAACP nach einer „Civil Rights Investigation“ – einer Untersuchung durch die Regierung über den Rassismus in der Justiz am Beispiel von Mumia Abu-Jamals Fall.

Was kann die weltweite Solidaritätsbewegung dazu beitragen, den Forderungen der US-AktivistInnen Nachdruck zu verleihen? Wie können wir von hier den politischen Druck auf die Obama-Regierung erhöhen?

Schreibt Mumia in den Knast!

Es ist wichtig, dass Mumia möglichst viel Post aus vielen verschiedenen Ländern erhält. Da sämtliche Post an ihn von den Behörden kontrolliert wird, bedeutet jeder gefüllte Postsack an ihn eine stille Protestkundgebung, die von Justiz und Regierung registriert wird. Damit können wir ihnen zeigen, dass Mumia Abu-Jamal auch nach 27 Jahren Isolationshaft im Todestrakt nichtvergessen ist und dass wir genau wissen und beobachten, was die Gerichte vorhaben.

Es gibt zahlreiche weitere gute Vorschläge wie Mumia individuell geholfen werden kann. Es ist jedoch klar, dass wir gemeinsame starke Proteste brauchen werden, sollte die rassistische US-Justiz es wagen, die Todesstrafe gegen Mumia erneut in Kraft zu setzen.

Bundesweite Demonstration bei Todesstrafe

Die Rote Hilfe e.V. ruft gemeinsam mit den zahlreichen Mumia-UnterstützerInnen-gruppen und Bündnissen dazu auf, am letzten Samstag vor einem möglichen Hinrichtungstermin eine bundesweite Demonstration in Berlin für das Leben und die Freiheit von Mumia Abu-Jamal sowie für die Abschaffung der Todesstrafe durchzuführen.

Im Unterschied zu 1995 und 1999, als die beiden damals gegen Mumia angesetzten Hinrichtungstermine durch ein Zusammengehen von gerichtlichen Einsprüchen seitens der Verteidigung und Protesten der weltweiten Solidaritätsbewegung erfolgreich verhindert werden konnten, kommt es diesmal vor allem auf Massenproteste vor den US-Botschaften und anderen US-Einrichtungen in aller Welt an, denn auf der juristischen Ebene werden wir die Hinrichtung – anders als in den 1990er Jahren – nicht stoppen oder aufhalten können, da der Weg vor die Berufungsgerichte versperrt ist.

„Mumia 3+12“

Sollten US-Justiz und Politik ihre Todesdrohung gegen Mumia wirklich in die Tat umsetzen wollen, hat die FREE MUMIA Bewegung darüber hinaus einen dezentralen Aktionstag ausgerufen. So sollen am 3. Tag nach der Bestätigung des Todesurteils um 12 Uhr (oder auch später) Einrichtungen der US Regierung sowie von US-amerikanischen Konzernen Ziel von Protesten und Aktionen des zivilen Ungehorsams sein.

Niemand weiß, wann genau eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über die Vollstreckung des Todesurteils oder lebenslange Haft gegen Mumia fallen wird. Aber ab dem 5. Oktober 2009 kann sie fallen. Sollte es eine Bestätigung des Todesurteils geben, wird möglicherweise nur wenig Zeit bleiben, bis der Gouverneur von Pennsylvania den Hinrichtungsbefehl unterzeichnet und einen Hinrichtungstermin anordnet. Wenn wir uns erst dann über Widerstand gegen diesen staatlich angekündigten Justizmord Gedanken machen, wird es zu spät sein. Wenn die Vorbereitungen aber bereits jetzt beginnen, entwickelt sich der notwendige politische Druck schon jetzt! – worauf warten wir also?

Ohne Euch wird es nicht laufen:

Organisiert die Notfallproteste: Werdet laut, werdet aktiv!

Sobald eine Hinrichtung angesetzt ist, muss alles ganz schnell gehen, müssen massenhafte Proteste durchgeführt, muss dafür schon alles vorbereitet sein. Nur sollte allen klar sein, dass eine solche Mobilisierung die Unterstützung und Beteiligung von vielen tausend Menschen benötigt.

Daher appellieren wir an alle:

Macht den Kampf für das Leben und Freiheit von Mumia Abu-Jamal und für die Abschaffung der Todesstrafe zu Eurer Sache!

Vom Ausgang des Verfahrens hängt nicht allein das Leben Mumia Abu-Jamals ab. Es wird ein entweder positives oder negatives Signal – für den Kampf gegen die Barbarei der Todesstrafe – weltweit – sein. Es geht hier also nicht nur um das Leben eines Einzelnen sondern um die Abschaffung der Todesstrafe generell und um die Freiheit der politischen Gefangenen – weltweit.

Sollte es bis zum Winter noch keine Entscheidung vom Gericht geben, hat die Free Mumia Bewegung bereits jetzt an Mumias 28. Haftjahrestag, dem 9. Dezember 2009 einen weltweiten Aktionstag für seine Freiheit ausgerufen.
Für das Leben und die Freiheit von Mumia Abu-Jamal!
Kein Staat hat das Recht, Gefangene zu ermorden – weg mit der Todesstrafe überall!
Freiheit für Leonard Peltier!
Freiheit für alle politischen Gefangenen!
Baut die Bewegung auf!
„Mumia 3 + 12“ dezentraler Aktionstag am 3 Tag nach Bekanntgabe eines Hinrichtungsbefehls, um 12.00 Uhr
Bundesweite Demonstration zur US-Botschaft:
am letzten Samstag vor geplanter Hinrichtung!
14.00 Uhr / Oranienplatz / Berlin

Achtet auf Ankündigungen! Verbreitet Ankündigungen weiter!
YES WE CAN – FREE MUMIA – ABOLISH THE DEATH PENALTY!

UnterstützerInnen:

  • Rote Hilfe.ev Bundesvorstand
  • VVN-BdA Bundesvereinigung
  • Rolf Becker, Schauspieler, Hamburg
  • Sabine Kebir, Autorin, Berlin
  • Free-Mumia-Bündnis Bremen
  • Internationales Verteidigungskomitee (IVK) Bremen
  • Kampagne: Freiheit für Mumia Abu-Jamal!
  • Freiheit für Mumia Abu-Jamal Heidelberg e.V.
  • Berliner FREE MUMIA Bündnis
  • ¡Basta ya! – Komitee
  • arab – Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin
  • Peter Schrott, Stellvertretender Vorsitzender ver.di Bezirk Berlin
  • Victor Grossman, Autor, Berlin
  • Stiftung Haus der Demokratie, Berlin
  • Hans-Litten-Archiv e.V.
  • Rote Hilfe OG Hannover
  • Rote Hilfe OG Bonn
  • Rote Hilfe OG Hamburg
  • Rote Hilfe OG Magdeburg
  • VVN-BdA KV Osnabrück
  • AbaKuZ e.V., Aschaffenburg
  • UBI-KLIZ Mieterladen, Berlin
  • Bürengruppe Paderborn
  • Suzanna, Sängerin, Berlin
  • Gipfelsoli
  • B.A.N.G.
  • Ya-Basta-Netzwerk
  • Tierra y Libertad
  • Gruppe B.A.S.T.A.
  • Radikale Linke (RL) Nürnberg
  • Jugend Antifa Aktion (JAA)Braunschweig
  • Antifaschistische Plenum Braunschweig
  • Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen (bundesweit) www.political-prisoners.net
  • Gefangeneninfo www.gefangenen.info
  • Komitee gegen §§129 und Repression (Stuttgart)
  • Zusammen kämpfen (Magdeburg) www.zusammen-kaempfen.tk
  • DIE LINKE Landesvorstand Berlin
  • Netzwerk gegen die Todesstrafe
  • Mauerfall (Gefangenen Rundbrief)
  • Monika Morres AZADÎ e.V., Düsseldorf
  • FAU-IAA Bonn
  • FAU Lokalföderation Hannover
  • Infoladen Salzburg
  • Jürgen Rump, Bremen
  • Lea Kühn, BezirksschülerInnensprecherin Essen
  • Heike Weingarten, Berlin
  • Andreas Hartle, Architekt, Hannover
  • Antifaschistische Linke Fürth (ALF)
  • Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba e.V., Regionalgruppe Essen
  • Freundschaftsgesellschaft Berlin-Kuba e.V.
  • Freundeskreis „Ernst-Thälmann-Gedenkstätte“ e.V., Ziegenhals
  • Max Renkl (Vorsitzender des Freundeskreises „Ernst-Thälmann-Gedenkstätte“ e.V., Ziegenhals)
  • Dirk Borrmann, Köln
  • Phoney Tapes (Record Label)
  • Drake Records (Record Label)
  • Ernest Drake
  • DJ Phoney
  • Angelika Spell
  • Brigitte Heilenz, Großröhrsdorf
  • Konstantin Brandt, Buchhändler, Berlin
  • Dr.Ursula Joseph, Berlin
  • Prof. Dr. Detlef Joseph, Berlin
  • Prof. Dr. Wolfgang Richter – Bundesvorsitzender der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und
  • Menschenwürde e.V., amt. Präsident des Europäischen Friedensforums (european peace forum epf)
  • Jutta Kausch, Schauspielerin
  • Laura Freiin von Wimmersperg, Moderatorin der Berliner Friedenskoordination
  • PD Dr. Johannes M. Becker
  • Dr. Diether Dehm, MdB
  • Hans Bauer, Rechtsanwalt, Berlin
  • Dr. sc. Gerhard Feldbauer, Historiker, Publizist, Poppenhausen
  • Dr. Angelika Haas, Berlin
  • Doris Pumphrey, Berlin
  • George Pumphrey, Berlin
  • Revolutionäre Perspektive Berlin
  • SALZ – Bildungskreis Köln www.salz-köln.de
  • DAS ANTIEISZEITKOMITEE, Berlin
  • Gisela Ringwald
  • Anja Röhl, Rosa Luxemburg Freundeskreis Stralsund
  • Inge und Kurt Gutmann, Berlin
  • Dieter Kempe, Berlin
  • Ina Edelkraut, United Nation Network, Berlin
  • Ursula Austermann, Berlin
  • Tokata – LPSG RheinMain e.V. (Rodgau)
  • Claudia Weigmann-Koch (Rodgau)
  • Dr. Michael Koch (Rodgau)
  • Marianne Reiff-Hundt, Internationale Liga für Menschenrechte (Vorstand)
  • Ilsegret Fink, Berlin
  • Rosel Müller, Berlin
  • Erich Freisleben, Berlin
  • Gudrun Wischeidt, Berlin
  • Klaus Koch, Glöwen
  • Ahmad Majd Amin, Berlin
  • Heike Hänsel, MdB, Linksfraktion im Bundestag
  • Dr. Alexander King, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Büro Heike Hänsel (MdB) Linksfraktion im Bundestag
  • Birgit Bock-Luna, Berlin
  • Heidi Kloor, BundessprecherInnen der AG Betrieb&Gewerkschaft in und bei der Partei DIE LINKE
  • Redaktion Anderslautern
  • Carsten Ondreka (freier Journalist & DJ)
  • Linker Block Rostock
  • Cor u. Gon Steinvoort
  • Rainer Dittrich (ehem. pol. Gefangener)
  • Clemens Ronnefeldt, Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des internationalen Versöhnungsbundes, Freising
  • Sigrid Becker-Wirth (MediNetzBonn e.V., Medizinische Beratungs- und Vermittlungsstelle für Flüchtlinge)
  • Rote Hilfe International
  • Rote Hilfe des Revolutionären Aufbau Schweiz
  • Barbara Fuchs
  • Johannes M. Becker, PD Dr. Marburg, RFA/FRG
  • KPD (Alfred Fritz stellv. Vors.)
  • Monika Kneiseler
  • Bettina Lübeling
  • SSK – Sozialistische Selbsthilfe Köln e.V.
  • Dipl. Päd. Josie Michel-Brüning und Dipl. Ing. Dirk Brüning, Jülich
  • VVN-BdA Kreisvereinigung Wuppertal

»Draußen fast nur Weiße, im Gefängnis meist Afroamerikaner«

10. Oktober 2009

Gespräch mit Rolf Becker.
Über einen Besuch bei dem US-Publizisten Mumia Abu-Jamal im Todestrakt des Staatsgefängnisses Greene in Pennsylvania/USA.

Rolf Becker (74) ist Theater- und Filmschauspieler, Mitglied der Gewerkschaft ver.di, Fachbereich Medien, Ortsvereinsvorstand Hamburg. Veröffentlichungen: CD Manifest, Heinrich-Heine-Textfolge »Dichter Unbekannt« und »Immer noch Kommunist – Erinnerungen von Paul Elflein« (beide mit Claus Breme).

Interview: Jürgen Heiser

Wann haben Sie das erste Mal von Mumia Abu-Jamal gehört?

Vor dem ersten Hinrichtungsbefehl 1995. Kollegen der IG Medien hatten zusammen mit dem Verband Deutscher Schriftsteller (VS) Hamburg) und der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) im Literaturhaus Hamburg eine Veranstaltung organisiert, auf der Norman Paech zum Unrechtsverfahren gegen Mumia gesprochen hat und ich Texte aus Mumias erstem Buch »…aus der Todeszelle« vorgetragen habe. Es folgten Diskussionen, Kundgebungen, Demos. Und dann hielt ich die Laudatio 2001, als Mumia in Lübeck der Erich-Mühsam-Preis verliehen wurde.

Wodurch wurde Ihre Aufmerksamkeit erregt?

1989 hatte sich in der Hamburger IG Medien der »Arbeitskreis für politische Gefangene« konstituiert, damals vor allem bezogen auf die Forderung nach Zusammenlegung, Freilassung und bessere Haftbedingungen für die Gefangenen aus der Rote Armee Fraktion. Wir haben uns eingesetzt für die Freilassung von Irmgard Möller, Hanna Krabbe und Christine Kuby, die in Lübeck einsaßen. Damals gab es dafür noch eine Grundlage in den Gewerkschaften. Schwieriger wurde es bereits, als wir ab Januar 2001 versuchten, die vorzeitige Entlassung von Christian Klar zu erreichen.

Knäste waren uns also vertraut, und, soweit ein Besucher sie überhaupt nachvollziehen kann, auch die Lage der Inhaftierten. Aber die in den Todestrakten? Über Jahre und Jahre, von Aufschub zu Aufschub, so wie Mumia? Also haben wir uns an den Protesten beteiligt – gegen das unfaire Verfahren, das zu seiner Verurteilung führte, und gegen die Todesstrafe in den USA. Ich habe noch Leonard Weinglass, den früheren Verteidiger Mumias, und dann 2003 Robert R. Bryan kennengelernt. Er hat Mumia meinen Wunsch übermittelt, ihn zu besuchen.

Parallel zur Konstituierung des AK Politische Gefangene veröffentlichte die Feder, das damalige Mitgliedermagazin der IG Medien, 1989 den ersten Solidaritätsaufruf für Mumia Abu-Jamal, den wir als Gewerkschafter und Todesstrafengegner aus Bremen bundesweit verschickt hatten. Auf der Bundesdelegiertenversammlung der dju hatten die etwa 100 Delegierten den Aufruf geschlossen unterzeichnet. Danach ist er in vielen anderen Gewerkschaften des DGB unterstützt worden.

Da ist auf etwas hinzuweisen, nämlich die heutige zunehmende Passivität vieler Kollegen – nicht nur in dieser Frage. Das Hemd, heißt es, ist uns näher als der Rock. Ein fragwürdiger, letztlich entsolidarisierender Satz, wenn damit gemeint ist: erst ich, dann du, oder: erst wir, dann ihr. Gerade angesichts der zunehmenden Probleme seit Einführung der Hartz-Gesetze und der Agenda 2010, durch Betriebs­stillegungen, Etatkürzungen, Entlassungen. Viele gewerkschaftlich Aktive in der Mumia-Solidarität haben sich zurückgenommen zugunsten der Fragen, die sie unmittelbar betreffen. Als Organisation aktiv ist heute fast nur noch der P.E.N. mit seiner Sprecherin Sabine Kebir. Dabei kommt es gerade jetzt darauf an, über den eigenen Tellerrand hinauszusehen, uns auch übergreifender sozialer und politischer Fragen anzunehmen, auch international. Die immer weiter um sich greifende Vereinigung der Arbeitenden und Unterdrückten als einziger Ausweg. Auch für Mumia. Wenn sich die Gewerkschaften seiner wieder annähmen – das würde auch von den US-Botschaften wahrgenommen werden.

Mumia Abu-Jamal ist nicht nur Mitglied des P.E.N., sondern auch der US-Schriftstellergewerkschaft National Writers Union (NWU). Wie haben Sie unmittelbar vor Ihrem Besuch bei dem Kollegen im September die dortige Situation wahrgenommen, als Sie Richtung Todestrakt des SCI Greene (State Correctional Institution/Staatsgefängnis) nach der Kleinstadt Waynesburg im südwestlichen Zipfel Pennsylvanias unterwegs waren?

Ich war zum Arbeiten in den USA, aber fokussiert auf diesen Termin, ohne zu ahnen, was mich erwartet. Dann die Fahrt durch die wunderschöne Landschaft von Pennsylvania an einem Traumtag, zusammen mit Robert R. Bryan und seiner Frau Nicole. In Waynesburg verließen wir den Highway. Nach einer Kurve öffnete sich dieser Talkessel, vollkommen planiert, mit rotem Sand aufgeschüttet, teilweise gepflastert, ringsum an den Hängen kurz geschorener Rasen. Wir sind die Ringstraße um die Anstalt gefahren und begegneten sofort einem der patrouillierenden Streifenwagen. Die Bewachung fängt weit außerhalb der Stacheldrahtverhaue an. Das SCI Greene ist mit vielfach übereinander gestapelten Rollen von ­NATO-Draht eingefriedet, weithin glänzend in der Herbstsonne. Dazwischen der Todesstreifen mit den Warnmeldeanlagen. Dann wieder NATO-Drahtrollen. Absolutes Fotografierverbot. »Betrachte es wie eine militärische Anlage«, meinte Robert R. Bryan.

Wie würden Sie Ihren ersten Eindruck umschreiben?

Wirklich wie eine US-Militärbase, ­Nakhon Phanom in Thailand oder Bondsteel im Kosovo. Weniger groß, aber totale Abschirmung. Vom Motel aus, wenige hundert Meter entfernt auf einer Anhöhe gelegen, sieht man die beiden Teile der Anstalt, die Trakte des Mainline-Vollzugs, und darin wiederum den Todestrakt, in dem sich Mumia befindet. So nah und gleichzeitig unerreichbar fern.

Dann brachen Sie am nächsten Tag zum Besuch in dieses Gefängnis auf …

Vorbei an dieser Unzahl von US-Fahnen, in fast jedem Garten, an jeder Tankstelle. Nur durch den Highway von der Anstalt getrennt das größte Einkaufszentrum von Waynesburg, die Leute scheinen sie nicht zu registrieren, Das Leben geht seinen Gang, als gäbe es die Anstalt nicht. Der konservative Charakter der Gegend springt ins Auge. Auf den Straßen und in den Lokalen fast nur Weiße, im Gefängnis dagegen, ob Personal oder Besucher, meist Afroamerikaner – als habe man die USA verlassen. Angehörige der untersten Schichten, die sich gegenseitig bewachen. Wie Brecht schreibt: »Aber als er zur Wand ging, um erschossen zu werden, führten sie ihn an eine Wand, die von seinesgleichen gemacht war.«

Keine Spur von dem, was man als »Obama-Country« sonst in den Zentren der USA bemerkt?

Wie Mumia in seinen Kolumnen schreibt: Das Image von Obama hat spürbar gelitten. Sein Konterfei findet man fast nur noch in Souvenirläden. Nichts mehr von der Begeisterungswelle, die wir in den Medien mitverfolgen konnten. Auffälliger sind die Probleme infolge der Wirtschaftskrise, nach dem Crash auf dem Hypothekenmarkt, von dem auch Waynesburg und Pittsburgh erheblich betroffen sind. Ehemalige Eigenheimbesitzer auf Campingplätzen, in Wohnwagen oder Zelten – das sind Auswirkungen, wie wir sie hierzulande noch nicht kennen. Beim Durchblättern der Zeitungen fallen die Anzeigen der Kriegstoten in Afghanistan auf, die höheren Dienstgrade oft mit Foto. Der Krieg ist ein prägender Bestandteil der Medien geworden, anders als hier, wo ihn die Bundesregierung immer noch als Friedensmission deklarieren kann. In den USA wird der Afghanistan-Einsatz anders wahrgenommen, Unmut und Widerstand dagegen nehmen zu, ebenso wie die Erwartung, daß sich sozial etwas ändert. »Wir haben eine neue Perspektive, seit George W. Bush weg ist« – das ist vorbei.

Aus dieser Außenwelt kommend, haben Sie dann das Foyer des SCI Greene betreten …

Räumlich hatte ich den Eindruck, kein Gefängnis, sondern eine riesige Klinik zu betreten. Wie in deutschen Knästen mußten wir alles, was wir bei uns hatten, ablegen, anders dagegen die Lässigkeit der Bediensteten und: In Deutschland muß man als Besucher auch seinen Ausweis abgeben, betritt es als ein Nobody. Hier im US-Gefängnis erhielt ich meinen Paß aber zurück: »Wir nehmen Ihnen alles, aber nicht Ihre Identität.«

Wie gelangten Sie dann in den Todestrakt?

Durch endlose Gänge, weiß getüncht wie in einem Klinikum, aber mit dem Bewußtsein, nicht in einer Klinik zu sein, in der geheilt wird, sondern in der Menschen über Jahre in Käfigen am Leben gehalten und irgendwann getötet werden. Diese zivile Selbstverständlichkeit, diese klinische Sauberkeit, mit der das abläuft… ich habe mir versucht vorzustellen, wo wohl der Raum liegt, in dem die Todesspritzen verabreicht werden, war wie benommen. Schließlich der Teil des Todestrakts, in dem die Besuchszellen sind. In einer davon ein Gefangener, zusammengesunken wartend, unseren Gruß kopfnickend erwidernd.

Mumia wartete bereits auf uns, wie angekündigt hinter einer Trennscheibe des winzigen Besuchraums. Kein Fenster, Neonbeleuchtung, Wände und Decke schlohweiß gestrichen, alles blitzsauber, bis zum gewischten Fußboden. Das dunkelhäutige Personal arbeitet vorzüglich. »Klinikum« auch hier, so wie vermutlich auch in der Hinrichtungsstätte. Der geteilte Raum sei nur wenig größer als seine Zelle, erklärte uns Mumia später, insgesamt etwa zwei mal drei Meter. Keine Gegensprechanlage, der Stahlrahmen der Scheibe ist versehen mit stecknadelkleinen Löchern, durch die gebrochen der Schall dringt.

An dieser Stelle müßten wir eigentlich über das Thema sensorische Deprivation sprechen …

… ja, Psychodruck, sonst nichts, auf den Gefangenen vor allem, aber auch auf den Besucher, du prallst ab an dieser Scheibe, und von daher auch völlig verständlich die Reaktion von Mumia: Trommeln mit den Fäusten dagegen, und du trommelst sofort zurück, die Vibration der Scheibe als indirekter Körperkontakt, die größtmöglich herstellbare Nähe. Zuvor aber, denn darauf war ich nicht vorbereitet, der erste Blick – ein Schock: Mumia im orangeroten Overall. Guantánamo. Diese Folterbilder von den Gefangenen, die in diesen Overalls durch die vergitterten Höfe geschleppt werden.

War Mumia gefesselt?

Nein, seit der Intervention von Bischof Tutu aus Südafrika, der Mumia vor einiger Zeit besucht hat, hält man sich daran, Mumia nicht mehr an Händen und Füßen gefesselt vorzuführen.

Wurde der Besuch von Wärtern überwacht?

Nein. Der Entwicklungsstand der Überwachungstechnik macht sie überflüssig. Und wir haben nichts zu verbergen, unser Anliegen ist klar. Ich besuche einen Freund – das ist er geworden im Lauf der Jahre – und möchte, wie wir alle, daß er freikommt. Nichts anderes möchte er – seine Freiheit, und daß ihm endlich Recht geschieht, in einem neuen und fairen Verfahren.

Wie lange dauerte Ihr Besuch?

Dreieinhalb Stunden, weil ich das Glück hatte, Mumia zusammen mit Robert R. Bryan, seinem Verteidiger, besuchen zu können – sonst wären es maximal zwei Stunden gewesen.

Es fiel uns nicht schwer, ins Gespräch zu kommen, wir kannten uns ja eigentlich schon lange. Mumia weiß viel mehr über das, was hier in Deutschland läuft, als ich geahnt hatte, nicht nur, was ihn persönlich betrifft – unsere Veranstaltungen und Menschen, die sich für ihn einsetzen. Er weiß auch sonst, was läuft, das Ergebnis der Bundestagswahl dürfte ihn kaum überrascht haben.

Ich habe Mumia Grüße ausgerichtet von allen, die sich hier gegen die Todesstrafe und für ihn einsetzen, Einzelpersonen und Gruppen. Auch von Christian Klar, der während seiner Haftzeit an der Übersetzung eines Buches mitgearbeitet hat, zu dem Mumia das Vorwort schrieb: »Still Black – still strong«.

Worüber haben Sie gesprochen?

Über seine Familie, seine gesundheitliche Verfassung unter den Bedingungen der Haft. Er betont, daß er viel dafür tut, aber auch: Das reicht nicht, wenn du nicht durchschaust, was läuft, und wenn du das Anliegen vergißt, um das es geht. Und betont wiederholt, es gehe nicht um ihn, es seien Hunderte, die vor der Frage stehen, ob ihnen morgen oder in vier Wochen oder in zwei Jahren die tödlichen Spritzen verabreicht werden, oder wie er, nach 27 Jahren immer noch wartend vor der Frage stehen, hingerichtet zu werden oder nicht. Eine Bestialität, wie Camus gesagt hat, zu der selbst die brutalste Einzelpersönlichkeit nicht in der Lage wäre. Ich bin davon überzeugt, daß Mumia zu Unrecht verurteilt worden ist. Aber selbst angenommen, es wäre nicht der Fall, müßte in einer menschlichen Gesellschaft, was er durchlitten hat, nicht Anlaß sein, ihn freizulassen? Mumia beantwortet die Frage mit dem einfachen Satz: »It’s a question of your mind.« Du mußt durchschauen, warum das so läuft, du mußt politisch dafür arbeiten, daß sich das ändert. Wir leben in einer Klassengesellschaft, der Rassismus dient der Herrschaftssicherung. Entsprechend begreift er sich als Vertreter der Afroamerikaner, die, an ihrem Bevölkerungsanteil gemessenen, einen extrem hohen Prozentsatz in den Gefängnissen und auch in den Todestrakten stellen, zudem als Vertreter einer freien Journalistik für die Afroamerikaner – der freien Meinungsäußerung überhaupt -, und schließlich als Vertreter all jener, die noch nach Recht und Unrecht, nach arm und reich fragen, nach oben und unten. Die in den Todestrakten sind eine Auslese derer, die die unterste Schicht der US-Bevölkerung stellen.

Wußte Mumia schon von dem Spiegel-Artikel vom 24. August 2009, in dem unter dem Titel »Die Feuer der Hölle« die Propaganda der Staatsanwaltschaft und der rechten Polizeibruderschaft Fraternal Order of Police (FOP) übernommen wurde?

Dieser Artikel bestimmte den größten Teil unseres Gesprächs. Mumia zeigte sich zutiefst verletzt, vor allem angewidert. Monatelang hatte die Autorin Cordula Meyer, Spiegel-Korrespondentin in Washington, bei ihm und seinem Anwalt um Vertrauen für ihre vorgeschoben redlichen Absichten geworben. Er fühlte sich betrogen und geschädigt. Er verwies als eine der ersten Folgen auf einen Kommentar der US-Zeitung Philadelphia Daily News, in dem drei Tage nach Erscheinen des Spiegel begrüßt wurde, auch das größte und wichtigste Printorgan Europas vertrete jetzt die Meinung, er sei schuldig. Unausgesprochene, aber damit nahegelegte Konsequenz: Vollstreckung des Todesurteils. Die Schreibtischtäter werden ihre Hände in Unschuld waschen.

Wie hat Mumia sich zur Stoßrichtung des Artikels geäußert?

Er begreift ihn als entscheidenden Beitrag zu der noch ausstehenden Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA als letzter Instanz, bei der es für ihn unausweichlich um Leben und Tod geht.

Nach der Ablehnung der Wiederaufnahme des Verfahrens durch den Obersten Gerichtshof im April 2009 soll es jetzt in einer zweiten Entscheidung nur noch um die Frage gehen, ob das Todesurteil bestätigt wird, weil das Verfahren 1982 angeblich keinerlei Verstoß gegen die US-Verfassung darstellt, oder in lebenslange Haft umgewandelt wird. Konnten Sie darüber beim Besuch reden?

Ja, völlig uneingeschränkt, weil Robert R. Bryan als sein Verteidiger dabei war. Mumia sieht angesichts des Antrags der Staatsanwaltschaft, das Todesurteil aufrechtzuerhalten, seine Chancen bei kaum noch 50 zu 50, und so sieht es auch Robert R. Bryan, der in den letzten Monaten immer wieder öffentlich darauf hinweist. Die bedrohlichste Situation für Mumia seit seiner ersten Verurteilung, als zu erwarten war, daß die Hinrichtung unmittelbar darauf erfolgt. Der Einspruch seiner damaligen Verteidigung bei höheren Instanzen konnte sie eben noch abwenden. Die Hinrichtungsbefehle 1995 und 1999 wurden ebenfalls juristisch, vor allem aber dank der weltweiten Proteste verhindert. Gegen die jetzt anstehende Entscheidung des Supreme Court gibt es keine Einspruchsmöglichkeiten mehr.

Ich habe mich während des ganzen Gesprächs gewundert über Mumias Grundhaltung. So wie er schreibt, in seinen Büchern und Zeitungskolumnen – sachlich argumentierend, illusionslos sich auseinandersetzend auch mit dem, was ihm selbst widerfährt, fragend und hinterfragend, ohne besondere moralische oder emotionale Empörung. Diese Bescheidenheit, dieses Sich-Zurücknehmen, aus seiner Person kein Aufheben machen. Das Erfahrene und Erlittene aber bewahrend und verteidigend, sich bewußt immer wieder einordnen in den gesellschaftlich-politischen Zusammenhang.

Hat Mumia Ihnen als Vertreter der kritischen Öffentlichkeit in Europa etwas mit auf den Weg gegeben?

Grüße! Und daß er denen vertraut, die sich engagieren. Er macht allenfalls Vorschläge, vermittelt durch das, was er thematisiert. Den Kampf gegen die Todesstrafe intensivieren. Er erinnert an die, die sich in den Todestrakten selber das Leben nehmen. An José Pagan, der sich am 1. September in einer Nachbarzelle erhängt hat. Über ihn hat er eine Kolumne geschrieben. Dabei immer wieder betont, daß es um ihn, Mumia, am allerwenigsten geht und daß er der Frage, ob er in drei Monaten noch am Leben ist, mit relativer Gelassenheit entgegensieht. Mumia schreibt nicht vor, er lebt vor – in der Todeszelle.

Gegen Ende unseres Gespräches habe ich ihn gefragt, was er mag an Musik und Literatur, ob er überhaupt noch Raum dafür hat. Statt einer Antwort holte er aus der Hosentasche unter seinem Overall eine kleine Rolle Papiere hervor, zusammengehalten durch ein Gummiband, und daraus wieder einen beschriebenen Zettel, der Zeilenanordnung nach ein kleines Gedicht. Und dann etwas Wunderbares — unvergeßlich: Mumia tritt nah an den perforierten Rahmen der Trennscheibe, lehnt sich mit einer Schulter leicht an die Wand und beginnt zu singen. »A Sad Love Song« – für Wadiya, seine Frau. Im Todestrakt ein Lied. Ein Liebeslied, vorgetragen mit seiner weichen, melodisch-zarten Stimme. Die Situation in der Besucherzelle des Todestrakts wurde dadurch nicht aufgehoben, sie wurde dadurch erst bewußt.

Ein Liebeslied als Botschaft?

Ja, eine Liebeserklärung an alle, die sich solidarisch einsetzen. On a move!

Infos zu Verteidigung von Mumia Abu-Jamal und zur Kampagne für seine Freilassung: www.freedom-now.de

mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift „jungeWelt“:
http://www.jungewelt.de/2009/10-10/001.php
Jürgen Heiser ist freier jW-Mitarbeiter und ver.di-Mitglied, Fachbereich Medien. Er besuchte Abu-Jamal seit 1990 mehrfach, brachte mehrere Bücher von und über ihn heraus und übersetzt seine wöchentliche Kolumne für junge Welt seit Dezember 2000

Holocaust-Überlebender prangert „Stürmer“-Praktiken beim Bundeswehrmagazin Y an

geschrieben von Dr. Regina Girod, Chefredakteurin "antifa"

6. September 2009

„Unter der Überschrift ‚Köpfe des Terrors’ werden in der September-Ausgabe des Bundeswehr-Magazins ‚Y’ am Computer produzierte Bilder von Taliban- und Al Qaida-Führern präsentiert, die in der Art der Darstellung und der beabsichtigten Wirkung ihre Vorläufer im ‚Stürmer’ haben.

Als Beweis lege ich Ihnen das Faksimile eines ‚Stürmer’-Titelbildes von 1943 bei.“

Das schreibt Alfred Fleischacker, der aus einer jüdischen Familie stammt und als Kind in England den Naziterror überlebte, in einem offenen Brief an Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung.

Der Brief ist in der „antifa“, der Zeitschrift der VVN-BdA, erschienen:
Offener Brief an Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung.

Der Brief erhält besondere Aktualität vor dem Hintergrund des Blutbades, das die Bundeswehr am Freitag am Kundus-Fluß in Afghanistan anrichtete, und der Erörterung der Frage, welches Menschenbild der Truppe vermittelt wird, die derartige Kriegsverbrechen begeht.

Unsere Forderung nach Stopp der Nazis war erfolgreich

geschrieben von Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA

4. September 2009

„70 Jahre nach dem Überfall Deutschlands auf Polen begehen wir den Antikriegstag. Es ist ein Tag gegen Faschismus und Militarismus.

Militaristen wollten der VVN-BdA in juristischen Verfahren verbieten, die Gräuel der faschistischen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg Kriegsverbrechen zu nennen und die Tradition der Gebirgstruppe als verbrecherisch zu bezeichnen. Dazu und zu den Gerichtsverfahren gegen Täter aus der Wehrmacht stellte Bundeswehrgeneral a.D. Jürgen Reichardt in Publikationen für die Bundeswehr fest, dass die heutigen Bundeswehrsoldaten „in Situationen“ geraten könnten, in denen sie wie einst die Gebirgstruppler „überreagieren“. Sie müssten dann befürchten, noch nach Jahrzehnten vor Gericht gestellt zu werden. Deshalb sollte Schluß sein mit der Verurteilung der Wehrmachtsverbrechen und der Wehrmachtsverbrecher.

Reichardt sprang in seinem in der „Gebirgstruppe“ veröffentlichten Beitrag ausdrücklich dem in München zu lebenslänglicher Haft verurteilten Leutnant a.D. Joseph Scheungraber bei, der wegen des Mordes von 14 italienischen Zivilisten angeklagt war.

Neue Kriegsverbrechen deutscher Soldaten, zu denen sie durch solche Ermutigungen getrieben wurden, werden gemeldet. Über 100 Afghanen brachte gestern ein Oberst Klein mittels Bombardement in der Nähe von Kunduz ums Leben. An der Bombardierung serbischer Städte war die Bundeswehr 1999 beteiligt. Wir hoffen, dass Oberst Klein ebenfalls vor Gericht kommt und wie Scheungraber verurteilt wird.

Doch davor stehen die Urteile und Entscheidungen höchster Gerichte. Sie haben deutsche völkerrechtswidrige Kriegseinsätze zugelassen, sie haben das Verbot des Angriffskrieges nach Artikel 26 des Grundgesetzes faktisch aufgehoben und auch den Artikel 139, der den deutschen Faschismus ächtet. Gestern hat nun das Bundesverfassungsgericht das Verbot des Naziaufmarsches durch Dortmund aufgehoben. Dieses Gericht ist zu seinem Standpunkt zurückgekehrt, dass Naziaufmärsche nur das Vortragen einer „missliebigen“ Meinung darstellen. Nazis marschieren unter der Losung „Nie wieder Krieg – nach unserem Sieg, dem Sieg des NS.“ Trotzdem bescheinigt das Gericht den Nazis in seinem Spruch von gestern Gewaltlosigkeit und Gesetzestreue. Es begünstigt Leute, die am 1. Mai in Dortmund mit dem Überfall auf den DGB-Demonstrationszug eine Probe ihrer Gewaltlosigkeit gegeben haben. Es begünstigt Leute wie den Bombenbauer von Weil bei Lörrach, der nur durch die Aufmerksamkeit von Antifaschisten gehindert wurde, ein Blutbad anzurichten.

Es ist zu hoffen, dass die kritiklose Hinnahme solcher Entscheidungen des BVG aufhört. Das BVG bewegt sich nicht im luftleeren politischen Raum, es wird von etablierten Politikern bestimmt. Doch wir sagen: Das Grundgesetz steht über dem Bundesverfassungsgericht, das diese Verfassung oft negativ uminterpretiert.

Wir haben seit Monaten darauf hingewirkt, die Nazis, wenn sie sich denn heute hier treffen, zu blockieren. Wir haben es erlebt – nie wieder! sagten wir mit unserer Aktion 65plus. Die Blockade, die wir wollten, wird nun stattfinden, wenn auch nicht durch uns. Die Polizei hat bekannt gegeben, dass man den Nazis nur eine Kundgebung auf engem Raum am Hafen, keinen Marsch, erlaube. Ganz Dortmund ist gegen die Nazis auf den Beinen und hat ihnen keinen Raum gelassen. Wir begrüßen die Entscheidung der Polizei. Wir sind ermutigt durch die Haltung tausender Dortmunderinnen und Dortmunder. Unser Kampf gegen Krieg und Nazismus geht weiter und wird durch die erfolgreichen Aktionen in unserer gesamten Stadt Auftrieb erhalten.“

NPD-Jugendfunktionär plante Sprengstoffanschläge

geschrieben von VVN-BdA Baden-Württemberg

29. August 2009

Der am 26. August 2009 in Lörrach festgenommene 22-jährige Thomas Baumann, Stützpunktleiter der Jungen Nationaldemokraten (JN, NPD-Nachwuchsorganisation) war im Begriff, einen Angriff mit Splitterbomben und Schusswaffen gegen Antifaschistinnen und Antifaschisten durchzuführen.

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) Baden-Württem­berg fordert daher ein entschlossenes Vorgehen der Politik gegen den nazistischen Terror. Die Medien werden aufgerufen, endlich über die Gefahr der AntiAntifa-Attacken aufzuklären.

Nach Mitteilung der Polizei hätte die Bombe in nur wenigen Stunden fertig gestellt werden können. Durch die Festnahme ist ein möglicherweise unmittelbar bevor stehendes Blutbad verhindert worden. Hier werde eine neue Dimension von organisierter terroristischer Nazi-Gewalt sichtbar, die sofortiges Handeln auf allen Ebenen erforderlich mache, erklärt die VVN-BdA weiter.

Der unglaubliche politische Skandal bestehe darin, dass erst die Recherchen der Autonomen Antifa Freiburg dazu geführt hätten, die Behörden auf die Spur des Naziterroristen zu bringen. Verfassungs­schutz und Polizei seien entweder ahnungslos oder schauten untätig zu, wie über Monate hinweg im NPD-Spektrum Bomben gebastelt werden. Dies unter Aufsicht eines Innen­ministers, der behauptet, dass die NPD in diesem Bundesland „sehr passiv auftrete“. Deswegen könne sich Baden-Württem­berg an der Materialsammlung des Bundesinnenministeriums für ein NPD-Verbotsverfah­ren nicht betei­ligen. Der Fall offenbart gleichzeitig, dass die V-Leute des Verfassungsschutzes innerhalb der NPD keinesfalls ein „Frühwarnsystem“ darstellen, wie Rech noch im März behauptet hatte. Damit hatte er seine Weigerung begründet, die V-Leute abzuschalten, wie dies das Bundesverfassungsgericht gefordert hatte, um den Weg für ein Verbotsverfahren frei zu machen.

Wie die VVN-BdA feststellt, sei Minister Heribert Rech nicht willens oder nicht in der Lage, seinen Amtspflichten nachzu­kommen. Sie fordert dessen unverzüglichen Rücktritt. Alle Landtags­fraktionen und die Bundespolitik seien jetzt aufgefordert, an diesem Beispiel die Gefahren zu erkennen, die von der NPD und ihrem gewalttätigen neofaschistischen Umfeld ausgehen und alle politischen Mittel der Aufklärung sowie alle rechtlichen Mittel zu deren Verbot und Auflösung gemäß Artikel 139 GG auszuschöpfen.

Die Bundesorganisation VVN-BdA hatte im Dezember 2007 über 175.000 Unterschriften für die Einleitung eines erneuten NPD-Verbotsverfahrens gesammelt und dem Bundestagspräsidenten übergeben. Seitdem schlummert der Bürgerwille in den Katakomben des Reichstagsgebäudes, weil sich eine Reihe von CDU-geführten Landesregierungen weigern, V-Leute aus der NPD abzuziehen bzw. Material über die NPD-Machenschaften weiter zu geben und damit das Verbotsverfahren sabotieren.

Ministerpräsident Günther Oettinger wird unter Bezug auf den Vorgang von der VVN-BdA aufgefordert, die Initiative für das Wiederauf­leben des ruhenden NPD-Verbotsverfahren zu ergreifen, alle V-Leute abziehen und die einschlägigen Akten an den Bund übermitteln zu lassen.

Um die als Standard-Reaktion geäußerten Einzeltäter-Vermutung zu widerlegen, genüge ein Blick in das Umfeld des Bombenbastlers, teilt die VVN-BdA weiter mit. Der Jung-Nazi war Mitglied im „Kampfbund Deutscher Sozialisten“, Zeitsoldat bei den Krisenreaktionskräften der Bundeswehr und ist jetzt Gruppenführer der Kame­rad­schaft „Freie Kräfte Lörrach“ und Mitglied des JN-Landesvorstands mit engen Kontakten zu Alexander Neidlein, dem Landesgeschäftsführer und stellvertretenden NPD-Landesvorsitzenden in Baden-Württemberg. Baumann hat enge Verbin­dungen zur Münchner Neonazi-Szene, in deren Reihen er beim NPD-Aufmarsch am 1. Mai 2009 in Ulm gesichtet wurde. Attraktiv ist für ihn offenbar die Münchener „Kameradschaft Süd“ mit dem Nazi-Kader Martin Wiese, weil diese über Erfahrungen in bewaffneten Anti-Antifa-Aktivitäten verfügt. 2003 wurden dort ebenfalls Waffen und Sprengstoff besorgt mit der vermut­lichen Absicht, diese zu Attentaten gegen jüdische und andere antifaschistische Mitbürgerinnen und Mitbürger einzu­setzen. Martin Wiese wird im August 2010 aus der Justizvollzugsanstalt Bayreuth entlassen und hat in jüngster Zeit ein Comeback angekündigt.

Nach dem Krieg ist vor dem Krieg? Ohne uns!

geschrieben von BundessprecherInnenkreis der VVN-BdA

25. August 2009

70 Jahre nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen, mit dem das faschistische Deutschland den 2. Weltkrieg begann, haben deutsche Soldaten wieder einen Schießbefehl, „Taschenkarte“ genannt, im Gepäck.

60 Jahre nach der Verabschiedung des Grundgesetzes, nach dem die Bundesrepublik Deutschland zunächst gar keine Armee haben sollte, und nach dem deutsche Soldaten bis heute nur zur Verteidigung eingesetzt werden dürfen, werden wieder „Tapferkeitsmedaillen“ verliehen. Gerade erst wurden mit den „Kriegsverrätern“ die letzten Opfer der Wehrmachtsjustiz rehabilitiert, und mit Scheungraber einer von 25 in Italien verurteilten deutschen Kriegsverbrechern endlich auch in der Bundesrepublik verurteilt, da stehen deutsche Soldaten schon wieder im Krieg.

Auch wenn es gelegentlich behauptet wird: Bei den neuen Kriegen geht es nicht um „eine neue Welt der Friedens und der Freiheit“, wie sie die Überlebenden, die Widerstandskämpfer, die Deportierten und Internierten 1945 wollten. Es geht allein um Rohstoffreserven und die Durchsetzung von Machtinteressen. Das Selbstbestimmungsrecht von Völkern wird dabei missachtet.

Auch an diesem 1. September werden Gewerkschaften und Friedensgruppen zum Antikriegstag gegen die heutigen Kriegseinsätze der Bundeswehr protestieren und entschiedenes Engagement auch der deutschen Politik für politische Konfliktlösung und zivile Konfliktbearbeitung einfordern.

Am 5. September wollen Neofaschisten aus ganz Europa durch Dortmund marschieren und versuchen, den Antikriegstag für sich zu vereinnahmen. Dagegen wehrt sich ein breites antifaschistisches Bündnis, denn: Sie rufen „Nie wieder Krieg“ und fügen hinzu „nach unserem Sieg“. Sie stellen noch immer die Grenze nach Polen in Frage. Sie verbreiten ihre braune Hetze bei der Bundeswehr, sie unterwandern die Reservistenverbände.

Die VVN-BdA unterstützt mit ihren Mitgliedern und Untergliederungen die Demonstrationen der Friedensbewegung zum Antikriegstag am 1. September und sie unterstützt die Dortmunder Antifaschisten, die sich dem Gespensterzug am 5. September dort entgegenstellen.

Es gilt, die eindeutige Lehre aus dem verbrecherischen Krieg Nazi-Deutschlands in unserer Gesellschaft wach zu halten:

Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!

Dortmund stellt sich quer!

17. August 2009

Zum 5. Mal in Folge wollen Faschisten anlässlich des Antikriegstages durch Dortmund marschieren. Für den 5. September mobilisieren sie europaweit zu einem »nationalen Antikriegstag« in die Ruhrgebietsmetropole. Mittlerweile hat sich der Aufmarsch zu einem der wichtigsten Events der so genannten „Autonomen Nationalisten“ bundesweit entwickelt.

In den letzten Jahren haben sich die Übergriffe auf Migranten und linke Jugendliche, auf linke Buchläden und Zentren, auf die Wohnungen von Antifaschist/innen gehäuft. Die Brutalität des geplanten Übergriffs von 400 Neonazis auf die 1.Mai-Demonstration des DGB, unter der vor allem kurdische und türkische Gewerkschafter zu leiden hatten, zeigt, in welchem Umfang und mit welcher Zielrichtung die Neonaziszene sich in Dortmund entwickelt hat. Die Ziele des 1. Mai wie die des Antikriegstages, der Kampf um Arbeiterrechte, um internationale Solidarität und Frieden sind ihnen zutiefst verhasst.

Die Nazis sagen, Dortmund sei ihre Stadt. Wir sagen: Niemals!

Polizei und Politik haben ihren Anteil am Erstarken der Rechten, indem sie das Problem seit Jahren verharmlosen. Das, obwohl seit dem Jahr 2000 vier Morde auf das Konto der Neonazis gehen: 3 Polizisten wurden von dem Neonazi Michael Berger erschossen, der Punker Thomas Schulz von einem jugendlichen Neofaschisten erstochen. Die Polizei blieb ihrer Linie treu: Die Demonstrationen der Nazis ermöglichen, die antifaschistische Gegenwehr behindern.

Die Aufmärsche der Nazis zum Antikriegstag sind eine Provokation wie ihre Aufzüge am 1. Mai. Der Antikriegstag erinnert an den faschistischen Überfall der Nazis am 1. September 1939 auf Polen, der Beginn eines Raub- und Vernichtungskrieges, der die Welt in Brand steckte und über 50 Millionen Tote hinterließ. Bereits in den letzten Jahren zogen Neonazis mit der Losung “Nie wieder Krieg!” durch Dortmunds Straßen. Sie fügten hinzu: “Nach unserem Sieg!” – also dem Sieg des “Nationalen Sozialismus”, des Nationalsozialismus.

Die deutschen Neonazis stehen eindeutig in der Tradition der NSDAP. Sie bejubeln den beispiellosen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion mit 17 Millionen toten Zivilisten ebenso wie die barbarische Massenvernichtung der Juden. Sie leugnen die Verbrechen der Wehrmacht und der SS. “Unser Großvater war ein Held!” stand auf einem ihrer Transparente.

Mit sozialer und antikapitalistischer Demagogie versuchen diese als “Friedensengel” zu punkten und zielen in Zeiten von Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und Existenzangst auf Menschen im Angesicht sozialen Abstiegs. Dagegen hilft Aufklärung über den Zusammenhang von Kapitalismus, Faschismus und Krieg. Kein Fußbreit den Geschichtsfälschern!

Uns Antifaschisten mit unterschiedlicher politischer Herkunft, mit unterschiedlichen Ideen und Ansichten, jung und alt eint der Schwur von Buchenwald: “Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.” Ihm fühlen wir uns politisch verpflichtet. Wir verurteilen und bekämpfen die aggressive Kriegspolitik Deutschlands, der USA und der NATO ebenso wie die rassistischen, islamfeindlichen und antisemitischen Aktionen der Neonazis und den staatlichen Rassismus. Wir rufen alle Kriegsgegner und Antifaschisten auf, sich am 5. September an der Demonstration des Bündnisses »Dortmund stellt sich quer!« zu beteiligen.

Der Antikriegstag gehört uns!

Wenn Nazis marschieren, ist Widerstand Pflicht!

Lasst uns einen Aufmarsch der Rechten am 5. September gemeinsam verhindern!

Antifaschistische Demonstration des Bündnisses „Dortmund stellt sich quer!“

Treffpunkt: 10 Uhr, Dortmund Hauptbahnhof.

Erstunterzeichner/innen: Sevim Dagdelen, Bundestagsabgeordnete, „Partei Die Linke“, Prof. Dr. Heinrich Fink, Bundesvorsitzender der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist/innen“ (VVN-BdA), Hendrijk Guzzoni, Stadtrat in Freiburg, „Linke Liste – solidarische Stadt“, Ulla Jelpke, Bundestagsabgeordnete, „Partei Die Linke“, Felix Oekentorp, Sprecher „Ostermarsch Rhein Ruhr“ und Sprecher „DFG-VK Landesverband NRW“, Prof. Wolfgang Richter, Ratsmitglied in Dortmund, „Linkes Bündnis Dortmund – Parteilose Linke, DKP und SDAJ“.

Informationen: http://dortmundquergestellt.wordpress.com

Streiter gegen Ignoranz und Vergessen

27. Juli 2009

Einer der wenigen noch lebenden ehemaligen Häftlinge des Konzentrationslagers Osthofen bei Worms, Philipp Wahl, starb am 23. Juli 2009 im Alter von 96 Jahren.

Seine Generation von Widerstandskämpfer/inne/n hat Beeindruckendes und Vorbildliches geleistet: nicht nur im Kampf gegen die Hitlerfaschisten und alte wie neue Nazi, sondern auch für die Aufarbeitung der Verbrechen des Naziregimes in Zeiten ihrer systematischen Verharmlosung oder Verdrängung.

Aus leidvoller Erfahrung und aus redlicher Überzeugung stritt er allerdings nicht nur gegen Ignoranz und Vergessen, sondern auch für ein breites Bündnis und gemeinsame Aktionen aller Antifaschist/inn/en.

Philipp Wahl wuchs in einer sozialistisch geprägten Familie auf und wechselte 1931 in Duisburg von der sozialdemokratischen zur kommunistischen Jugendorganisation. Er erlebte damals im eigenen Verwandten- und Freundeskreis die ideologische wie politische Spaltung der Arbeiterbewegung, die auf beiden Seiten, Kommunisten wie Sozialdemokraten, zu überzogenen und teils niederträchtigen gegenseitigen Angriffen führte.

Mit der Machtübertragung an die Nazis übernahm der 20-jährige Matrose der Rheinschifffahrt illegale Kurierdienste für die KPD zwischen Rotterdam und Basel.

Im März 1933 wurde Philipp Wahl in Worms verhaftet und später ins Konzentrationslager Osthofen verschleppt. Vorher hatte ihn die Gestapo mit einer Brutalität verhört, die ihm eine Schädelfraktur und mehrere Wochen Krankenhausaufenthalt eingebracht hatte.

In Osthofen hielten ihn die Nazis ohne Prozess etwa neun Monate fest. Die für Philipp Wahl positive Erfahrung unter den ansonsten barbarischen Verhältnissen: Im Konzentrationslager näherten sich Sozialdemokraten, Sozialisten und Kommunisten langsam (wieder) an, überwanden manche Gegensätze, entwickelten und zeigten Solidarität untereinander.

Nach der Zerschlagung des Faschismus trat Philipp Wahl in Worms in der Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden (heute BAU), in der KPD und später der DKP für ein Zusammenwirken der politischen und gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung ein. In der Lagergemeinschaft Osthofen und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist/inn/en (VVN-BdA), deren rheinland-pfälzischer Vorsitzender er in den 90er Jahren war, engagierte er sich mit großem Einsatz und notwendiger Hartnäckigkeit für den Erhalt und den Ausbau des ehemaligen KZ Osthofen zur Gedenkstätte.

Vielen jungen Menschen hat er dort und im Schulunterricht seine Erlebnisse während der KZ-Haft und im Widerstand gegen den Faschismus nahe gebracht und verständlich gemacht. Seine unaufdringliche, nicht belehrende Art der Kommunikation kam bei ihnen an und überzeugte.

Ehren wir Philipp Wahl und gedenken seiner durch mutiges und konsequentes Handeln im beruflichen und gesellschaftlichen Alltag, gegen Nazis und für demokratische wie soziale Rechte.

VVN-BdA vorm Landgericht Nürnberg erfolgreich gegen den Kameradenkreis Gebirgstruppe e.V.

23. Juli 2009

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) darf weiterhin unverändert ihre Dokumentation „Über den Schutz für Kriegsverbrecher und über die Verharmlosung ihrer Taten durch den Kameradenkreis Gebirgstruppe e.V.“ verbreiten.

Im Gebäude, in dem auch der Nürnberger alliierte Kriegsverbrecherprozess von 1945/46 stattfand, entschied sich der Präsident des Kameradenkreises, der Bundeswehroberst a.D. Manfred Benkel, dafür, der Fassung der VVN-BdA-Dokumentation nicht länger zu widersprechen, wie sie unter www.nrw.vvn-bda.de zu finden ist. Benkel war darin mit Aussagen zur nicht erfolgten Strafverfolgung für Angehörige der 1. Gebirgsdivision und anderer Edelweißabteilungen der Wehrmacht zitiert worden, die viele Medien veröffentlicht hatten, die er aber der VVN-BdA verbieten wollte.

Das Nürnberger Landgericht, vor dem der Kameradenkreis eine einstweilige Verfügung gegen Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA, erwirken wollte, machte Benkel und seinem aus dem derzeit laufenden Münchner Scheungraber-Prozess bekannten Anwalt Rainer Thesen klar, dass sie mit ihrem Antrag gegen die VVN-BdA keine Chancen hätten. Darauf hin nahm Benkel seinen Antrag zurück und verpflichtete sich zur Zahlung sämtlicher Kosten des Rechtsstreis einschließlich der Kosten, die der VVN-BdA entstanden.

Das Verfahren war bereits das dritte in Serie innerhalb eines Jahres. Seit Juli 2008 versucht der Kameradenkreis, der VVN-BdA und ihrem Bundessprecher Ulrich Sander einen Maulkorb zu verpassen, um Kritik am Kameradenkreis und seiner reaktionären Traditionsarbeit abzuwehren, die von der Bundeswehrführung gefördert wird.

Jährlich treffen sich die Mitglieder des Kameradenkreises am Hohen Brendten bei Mittenwald zur Ehrung der Gebirgstruppenangehörigen, unter denen Kriegsverbrecher waren. Darunter solche, die seit 1952 den Kameradenkreis aufbauten und in der Bundeswehr Dienst taten.

Der TV-Sender 3sat hat über diese Treffen kürzlich eine Sendung ausgestrahlt, in der er das „Ehrenmal“ am Hohen Brendten als Schandmal bezeichnete und Teile der VVN-Dokumentation übernahm. Die Unterstützung der Gebirgstruppentradition durch die Bundeswehrführung wurde immer wieder von Antifaschisten in Aktionen am Hohen Brendten verurteilt.

Veteranen des antifaschistischen Kampfes wehren sich gegen Geschichtsfälschung

geschrieben von Dr. Ulrich Schneider, Generalsekretär der FIR

12. Juli 2009

Die VVN-BdA begrüßt und unterstützt die Erklärung der FIR gegen die Diffamierung der Anti-Hitler-Koalition durch die OSZE

Die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) – Bund der Antifaschisten, die Dachvereinigung von Organisationen ehemaliger Widerstandskämpfer, Partisanen, Angehörigen der Anti-Hitler-Koalition, Verfolgten des Naziregimes und Antifaschisten heutiger Generationen aus über zwanzig Ländern Europas und Israels hat mit Verwunderung und Empörung die Resolution der Parlamentarischen Versammlung der OSZE vom 3. Juli 2009 über die Wiedervereinigung des geteilten Europas zur Kenntnis genommen.

Hierin werden die faschistischen Massenverbrechen und die Ungesetzlichkeiten in der stalinistischen Periode undifferenziert auf die gleiche Stufe gestellt. Gleichzeitig wird darin der Sowjetunion die gleiche Verantwortung an der Entfesselung des Zweiten Weltkrieges zugewiesen wie Hitler-Deutschland. Solche Aussagen haben mit der historischen Wirklichkeit nichts gemeinsam. Sie verfälschen die Geschichte und diffamieren den gemeinsamen Kampf der Anti-Hitler-Koalition, in der die Sowjetunion als alliierte Macht einen entscheidenden Anteil hatte, gegen die größte Bedrohung der Menschheit im 20. Jahrhundert.

Wir wissen, dass die Resolution der OSZE gegen die Stimmen von etwa einem Drittel der Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung durchgesetzt wurde. Damit ist deutlich, dass es den Initiatoren nicht um einen möglichst breiten politischen Konsens, sondern um die Etablierung eines reaktionären Geschichtsbildes – geprägt von Totalitarismusdoktrin und Geschichtsverfälschung – in Europa geht.

Gerade in Erinnerung an den 70. Jahrestag des Überfalls Hitler-Deutschlands auf Polen und des 20. Jahrestages des Endes der Ost-West-Konfrontation in Europa kommt es jedoch darauf an, das Vermächtnis der politischen Gemeinsamkeiten der Anti-Hitler-Koalition für ein demokratisches und friedliches Europa zu bewahren. Und wenn in der Erklärung der OSZE das Ziel benannt wird „Förderung der Menschenrechte und der zivilen Freiheiten“, dann erinnern wir an den Schwur der überlebenden Häftlinge des KZ Buchenwald, die die Gemeinsamkeit der Anti-Hitler-Koalition mit folgenden Worten zusammenfassten: „Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln, Schaffung einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit!“

Das ist und bleibt unser Ziel für ein wiedervereinigtes Europa.

Brüssel, 13.07.2009

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