Erinnern – Gedenken – Handeln
3. Juli 2008
Die Gedenkstätten leisten mit Ausstellungen, Führungen, Tagungen und der Betreuung von jährlich Millionen von Besuchern eine verdienstvolle und unverzichtbare Arbeit bei der Aufklärung über die Verbrechen des deutschen Faschismus. Ihre erfolgreiche Tätigkeit kommt in dem großen öffentlichen Interesse und der steigenden Zahl nicht nur deutscher Besucher zum Ausdruck.
Wir treten dafür ein, dass die internationale Bedeutung der Gedenkstätten stärker betont wird, sie künftig ihrer Arbeit politisch unabhängig nachgehen und damit auch gesellschaftskritische Positionen wahrnehmen können. Die KZ-Gedenkstätten sollten in ihrer personellen Ausstattung und in ihren Investitionen zur Sicherung der baulichen Substanz den Haushalten von zeithistorischen Museen angeglichen werden.
Dem Gedenken und Erinnern an die NS-Zeit und der kritischen Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Ursachen für den Terror im Innern sowie für Holocaust, Völkermord und Vernichtungskrieg müssen eine klare Priorität eingeräumt werden. Die Dimension und Einmaligkeit nationalsozialistischer Verbrechen, insbesondere die Vernichtung der europäischen Juden und der Sinti und Roma sowie der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion und andere Länder Osteuropas erfordern für die Zeit vor und nach 1945 getrennte Gedenkstättenkonzepte. Sie sollten das jeweilige historische Geschehen in seiner konkreten Entstehungsgeschichte, seinem zeithistorischen Kontext und seinen Ausformungen aufzuarbeiten vermögen.
Gedenken für die NS-Zeit darf nicht nur die Opfer im Blick haben, sondern muss die Verantwortung des Naziregimes und einer übergroßen Mehrheit der Deutschen für Verfolgung und Millionenfachen Mord benennen. Diese Verbrechen bleiben in der Menschheitsgeschichte singulär und sind von gesellschaftlichen Entwicklungen nach der Befreiung vom Faschismus eindeutig zu unterscheiden. Formulierungen von „Gedenkstätten mit doppelter Vergangenheit“ und „doppelter Diktaturgeschichte“ ebnen in unzulässiger Weise historische Unterschiede ein und setzen und konträre gesellschaftliche Entwicklungen vor und nach 1945 gleich.
Die KZ-Gedenkstätten sind Orte, in den Hunderttausende Menschen aus nahezu allen Ländern Europas inhaftiert waren, gequält und ermordet wurden. Die in internationalen Lagerarbeitsgemeinschaften organisierten Häftlinge haben in den Nachkriegsjahren, oftmals gegen den Widerstand von Politik und Öffentlichkeit, den Aufbau von Gedenkstätten initiiert und durchgesetzt, und ihren Ausbau (kritisch) begleitet. Diese Gremien, in denen (noch) Zeitzeugen, aber auch Angehörige von ehemals in den Lagern Inhaftierten, Historiker und andere der Erinnerung an die Verbrechen der NS-Zeit verpflichteter Menschen aus vielen Ländern engagiert mitarbeiten, sollten auch künftig in den Beratungsgremien der Gedenkstätten Sitz und Stimme haben und ihre Erfahrungen einbringen. Wir unterstützen die Kritik des Internationalen Sachsenhausen-Komitees und des Buchenwaldkomitees an dem Gedenkstättenkonzept der Bundesregierung aus dem Jahre 2007. Zugleich erwarten wir, dass die internationalen Häftlingskomitees, Lagerarbeitsgemeinschaften und Freundeskreise sowie Opferverbände wie z.B. der Bund der „Euthanasie“-Geschädigten, der Zentralrat der Juden wie auch der Sinti und Roma und der VVN-BdA bei den konzeptionellen Planungen und auch in den kommenden Generationswechsel mit einbezogen werden.
Gemessen an der hohen und weiter steigenden Besucherzahl und an dem Umstand, dass die Gedenkstätten ihre Arbeit künftig ohne Zeitzeugen leisten müssen, ist die personelle und materielle Ausstattung der Gedenkstätten unzureichend. Führungen und darüber hinausgehende pädagogische Angebote rücken mit dem weiteren Abstand zu den historischen Ereignissen und dem Fehlen von Zeitzeugen verstärkt in den Mittelpunkt der Bildungsarbeit. Diese und andere neue gesellschaftliche Entwicklungen (Migrationsgesellschaften etc.) müssen in stets neu zu erarbeitende Konzepte von Gedenkstättenpädagogik und politischer Bildung einfließen. Hierzu bedarf es eines qualifizierten Fachpersonals mit langfristig sicheren Arbeitsplätzen und muss daher Bestandteil der institutionellen Förderung sein. Gedenkstätten werden mit ihren internationalen Jugendbegegnungsstätten zu Orten des Lernens und der Begegnung – dem gilt es ebenso wie den allgemein wachsenden Besucherzahlen Rechnung zu tragen.
Die Lagerarbeitsgemeinschaften und die VVN verfügen über zahlreiche Quellen (Zeitzeugenberichte in Form von Text,- Film und Tondokumente), die auf neue Weise in die Bildungsarbeit mit einbezogen werden können. Darüber hinaus können Angehörige von Verfolgten des Naziregimes und Zeugen der Zeugen über ihre Begegnungen mit Zeitzeugen berichten.
Für eine lebendige und zu kritischem Denken befähigende Erinnerungskultur bleibt die Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Initiativen für große und regionale Gedenkstätten unabdingbar. Gedenkstätten müssen sich in der regionalen Bildungslandschaft verankern und Kontakte sowohl zu schulischen und universitären wie auch außerschulischen Bildungsträgern aufbauen, pflegen und ausbauen. Sie müssen personell und konzeptionell in die Lager versetzt werden, ehrenamtliches Engagement in ihre Arbeit zu integrieren und zu unterstützen, sodass sie aktiver Teil zivilgesellschaftlicher, demokratischer Strukturen in einer Kommune, einem Land, der Gesellschaft werden.
Obwohl scheinbar ausreichend Literatur zur NS-Zeit sowie zur Geschichte der Konzentrationslager vorhanden ist, gibt es noch immer eklatante Forschungslücken, etwa bei der Beantwortung der Frage, wie „ganz normale Menschen“ unter bestimmten gesellschaftlichen Umständen zu schweigend Zustimmenden, Mitlaufenden oder gar aktiv Handelnden werden und am Ende Taten mit Millionen von Toten zu verantworten haben. Auch hier – im Bereich der Forschung – leisten Gedenkstätten Unverzichtbares. Ein forschungspolitischer Schlussstrich ist daher nicht hinzunehmen.
Wir fordern, dass alle Kernaufgaben der Gedenkstätten – ERINNERN, AUFKLÄREN, VERMITTELN, FORSCHEN sowie klassisch museale Aufgaben: SAMMELN, BEWAHREN, DARSTELLEN – durch institutionelle Förderung abgesichert werden, damit kontinuierlich eine qualifizierte Arbeit auf allen Ebenen gewährleistet ist. Nur mit einer uneingeschränkten öffentlichen Unterstützung und Absicherung können Gedenkstätten ihre erinnerungspolitischen Aufgaben wahrnehmen und ihren Aufklärungs- und Bildungsauftrag überzeugend umsetzen. Nur so können sie ein kritisches Geschichtsbewusstseins wie auch ein Verantwortungsbewusstsein für das Heute vermitteln und erfolgreich Mut machen, gegen Antisemitismus, Rassismus und Neonazismus und für eine Welt ohne Krieg und Faschismus einzutreten.
Allen Versuchen, das Gedenken zu verstaatlichen und es für eine nationale Identitätsbildung zu nutzen, treten wir entgegen.