Obamas Buchenwald-Besuch
7. Juni 2009
Eine wichtige Botschaft von Obamas Buchenwald-Besuch erschließt sich erst im Kontext der Europareise: Am Vortag war er in seiner Rede in Kairo auf die arabische Welt zugegangen. Jetzt zeigt er die Grenzen der westlichen Verhandlungsbereitschaft: Kein Appeasement mit Menschenrechtsverletzungen und Antisemitismus. In Buchenwald geht es ihm nicht um Deutschland, sondern um den Nahen Osten.
Der US-amerikanische Präsident besucht bei seiner zweiten offiziellen Visite in Deutschland nicht die Vorzeigeeinrichtungen der touristischen Selbstdarstellung, sondern er besichtigt die KZ-Gedenkstätte Buchenwald. Dies ist durchaus ein politisches Signal, wenngleich es anders zu erklären ist, als viele politische Kommentatoren es im ersten Schritt meinten, interpretieren zu müssen. Denn dieser Besuch hat weniger mit deutscher Geschichte als vielmehr mit amerikanischer Gegenwart zu tun.
In der offiziellen Sprachregelung der US-Regierung wird darauf hingewiesen, dass Barack Obama auf den Spuren seines Großonkels Charles Payne, der in der amerikanischen Armee beim Vormarsch durch Thüringen 1945 gekämpft hat, diesen Ort besuche. Obama und seine Presseberater wissen natürlich, dass Charles Payne keinen Anteil an der Befreiung des KZ Buchenwald gehabt hat. Sein Truppenteil befreite das Außenkommando Ohrdruf S II. In der Sprache einiger Regierungsjournalisten wurde daraus jedoch »Befreier von Buchenwald«, und Obama kann sich damit in der familiären Tradition dieser »Befreier« präsentieren.
Und dieses Bild ist in der US-amerikanischen Selbstwahrnehmung von eminenter Bedeutung. Die Geschichte des Zweiten Weltkrieges und bestimmte Bilder der faschistischen Herrschaft in Deutschland sind – nicht zuletzt durch eine starke mediale Präsenz – im Alltagsbewusstsein der amerikanischen Bevölkerung. Das positive Bild der US-Armee leitet sich – trotz der verheerenden Niederlage in Vietnam und der aktuellen Probleme im Irak – immer noch aus dieser historischen Leistung im Rahmen der Antihitlerkoalition ab. Obama hat seinen Besuch in Buchenwald durchaus mit Bedacht in den Zusammenhang mit der Teilnahme an den Gedenkveranstaltungen zum 65. Jahrestag des D-Day, der alliierten Invasion in Frankreich, gestellt.
Der US-Präsident kann mit dieser Konnotation seines Besuchs erstens deutlich machen, dass er – trotz fehlender eigener militärischer Traditionen – persönlich in der direkten Nachfolge der heroischen Leistung der amerikanischen Armee im Zweiten Weltkrieg steht. Er dokumentiert damit zweitens, dass diese Leistung nicht nur das Werk der »weißen Amerikaner« war, sondern dass afro-amerikanische Soldaten den gleichen Anteil an dieser Befreiungsmission hatten wie alle anderen Bevölkerungsgruppen in den USA. Er unterstreicht drittens – und da wird dieser Besuch politisch natürlich problematisch, dass amerikanische Militäraktionen »Befreiungsmissionen« waren und immer noch sind. Das hat eine hohe legitimatorische Funktion für die aktuelle Militärpolitik und den Krieg der US-Truppen im Irak, in Afghanistan und in anderen Teilen der Welt.