Geschichtsvergessenheit im NPD-Verbotsverfahren

geschrieben von Thomas Willms

7. März 2016

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Ein erstes wichtiges Ergebnis der zu Ende gegangenen Hauptverhandlung zum Verbotsantrag gegen die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht ist die Feststellung, dass Verfahrenshindernisse nicht vorlägen. Mit anderen Worten, die Innenministerien konnten die ihnen unterstellten VS-Behörden diesmal erfolgreich daran hindern, ein Verbotsverfahren erneut durch die Anwerbung von V-Leuten zu sabotieren. Dies ist das Ergebnis eines enormen öffentlichen Drucks und vielleicht auch ein Stück Einsicht bei zumindest einigen Innenministern.
Die großmäuligen Ankündigungen der NPD-Vertreter, das Verfahren bereits zu Anfang platzen zu lassen, haben sich damit auch gleich erledigt.
Der Verlauf der Verhandlung machte allerdings deutlich, dass bei der Entscheidungsfindung der Ideologie der NPD zwar Bedeutung beigemessen wird, dem aktuellen Stand der Parteiarbeit aber mindestens genauso. Das Haus muss also erst richtig brennen, bevor mit den Löscharbeiten begonnen werden darf.
Auf diesen Zug ist ein Großteil der Medienberichterstattung aufgesprungen und versucht, das NPD-Verbot niederzuschreiben. Es wird kaum thematisiert, dass selbst eine nur kleine neofaschistische Partei erhebliche gesellschaftliche Auswirkungen hat. So ist sie u.a. Vorreiter für Themen und Thesen – Stichwort „Diffamierung und Abwehr von Flüchtlinge“ – die dann von anderen aufgegriffen und umgesetzt werden.
Ignoriert wird, dass plötzliche Auf- und Abschwünge für diese Art Parteien kennzeichnend sind. Vor allem aber wird völlig auf eine historisch-politische Einordnung verzichtet. Es ist, als hätte man noch nie etwas von Hitler gehört oder davon, dass die NSDAP über weite Strecken der 1920er Jahre auch nicht viel mehr als eine Splitterpartei gewesen ist. Faschistische Ideologie und Praxis haben ein katastrophisch zerstörerisches und mörderisches Potential. 71 Jahre nach dem Ende des historischen Beweises scheint das weithin vergessen zu sein.

Das alles findet während eines dramatischen Aufschwunges der AfD als einer Art „NPD light“ statt. Die Akzeptanzzunahme für Rassismus, Nationalismus und Sozialdarwinismus lässt auch das Original NPD profitieren und an Bewegungsspielraum gewinnen. Im Gegensatz zur – nicht zum erstenmal – kampagnenartig verbreiteten Mär von der angeblichen Bedeutungslosigkeit der NPD, lässt sich feststellen, dass diese Organisation gerade dabei ist, wieder Tritt zu fassen. Insbesondere ihre Funktion als verbindendes Element zwischen rassistischer Initiative, gewalttätiger Aktion und biederer Parteiarbeit ist zumindest regional bereits eine ernste Gefahr für Geflüchtete und für andere von der NPD als „Gegner“ definierte Personenkreise.
Aufgefallen ist zwar nun doch selbst dem sächsischen Ministerpräsidenten, dass sein Bundesland ein „Problem mit Rechtsextremismus“ habe. Aber weder er, noch die Medien wissen noch, dass der erste Ausdruck des „Sachsen-Syndroms“ die Etablierung einer NPD-Landtagsfraktion gewesen ist. Bis heute verschärft die NPD, z.B. mittels den Parteiverlages in Riesa, die Situation durch ihre Aktivitäten.

Ein Verbot der NPD würde nicht nur die Zerstörung einer Organisationsstruktur bedeuten, sondern auch die Kriminalisierung ihrer Ideologie verstärken. Das wäre ein schwerer Schlag insbesondere auch für die AfD. Diese müsste sich dann damit auseinandersetzen, dass ihr wesentlicher Inhalt – explizit oder verbrämt ausgedrückt –, in einem anderen Fall höchstrichterlich der gesellschaftlichen Ächtung ausgesetzt wurde.